Wie Seriengründer aus recycelten Erfolgsgeschichten, Mastermind-Mythen und Alters-Hype ein Geschäftsmodell machen – und warum das System sie dafür belohnt.


Es gibt eine Figur im deutschen Startup-Ökosystem, die man kennen sollte, um die eigentümliche Dynamik dieser Welt zu verstehen: den Seriengründer. Nicht den Unternehmer im klassischen Sinne, der ein Geschäft aufbaut, es führt, vielleicht scheitert und wieder beginnt – sondern den professionellen Gründer, dessen eigentliches Produkt nicht das Unternehmen ist, sondern die Gründung selbst. Sein Geschäftsmodell besteht darin, legale Strukturen zu errichten, Kapital anzuziehen, Exits zu produzieren und das gewonnene Narrativ in den nächsten Pitch zu überführen. Dass dabei nachhaltige Skalierbarkeit auf der Strecke bleibt, ist kein Betriebsunfall, sondern systemimmanent.

Die Kunst des narrativen Recyclings

Der Seriengründer ist zunächst ein Geschichtenerzähler. Seine Währung sind nicht Patente oder Marktanteile, sondern Narrative. Die Erfolgsgeschichte des letzten Exits wird zum Rohstoff für den nächsten Pitch, adaptiert, neu verpackt, mit zeitgemäßen Buzzwords versehen. Wo gestern noch „Disruption“ stand, steht heute „AI-powered“, wo „Lean Startup“ prangte, findet sich nun „Impact-driven“. Die Substanz bleibt dieselbe, nur das Vokabular wechselt mit den Kapitalzyklen.

Ein Paradebeispiel liefert die Karriere von Blythe Masters. Als Managing Director bei J.P. Morgan galt sie als eine der Architektinnen der Credit Default Swaps – jener Finanzinstrumente, die 2008 das globale Finanzsystem an den Rand des Kollapses brachten. Nach der Krise erfand sie sich neu: als Blockchain-Visionärin, als CEO von Digital Asset Holdings, als Pionierin der Distributed-Ledger-Technologie. Aus der Komplexitätskünstlerin der alten Finanzwelt wurde die Disruptorin der neuen.

Doch das Narrativ kennt ein drittes Kapitel: den Wealthtech-Sektor. Masters sitzt heute im Board der neuseeländischen FNZ Group, einem Unternehmen, das gerade von 2.700 Mitarbeitern auf 4,6 Milliarden Dollar verklagt wird. Der Vorwurf: systematische Wertverschiebung durch Vorzugsaktien-Strukturen, die institutionellen Investoren garantierte Renditen sichern, während Mitarbeiter-Beteiligungen auf null verwässert werden. Die Mechanik ist von bestechender Eleganz und vertraut: komplexe Finanzstrukturen, die Risiken so verteilen, dass eine Gruppe profitiert und eine andere die Rechnung trägt. Die grundlegende Expertise hat sich nicht verändert – nur die Verpackung wechselt mit den Kapitalzyklen. Dass die Risiken dabei elegant kaschiert werden, gehört zum Handwerk. Jeder Exit, und sei er noch so bescheiden, finanziert nicht nur den nächsten Pitch, sondern vor allem dessen emotionale Glaubwürdigkeit.

Die eigentliche Kunst besteht darin, die Variationen so gering wie nötig und so groß wie möglich erscheinen zu lassen. Das Kernmodell verändert sich oft nur oberflächlich – ein neuer Markt hier, ein technologischer Anstrich dort –, doch die Präsentation suggeriert radikale Innovation. Der Seriengründer überzeugt dabei nicht nur Investoren, er überzeugt zunächst sich selbst. Diese Selbstüberzeugung ist keine Schwäche, sondern Voraussetzung des Geschäftsmodells: Nur wer an die eigene Vision glaubt, kann sie glaubwürdig verkaufen.

Das Instrumentarium der Inszenierung

Die Techniken, mit denen Seriengründer operieren, sind mittlerweile standardisiert. Da ist zunächst der Netzwerk-Leverage: Kontakte aus Vorprojekten werden als „erprobtes Team“ präsentiert, wobei der Beweis neuer Innovationen elegant umgangen wird. Die Logik lautet: Wer einmal erfolgreich war, wird es wieder sein. Dass Erfolg in einem Kontext keine Garantie für Erfolg in einem anderen darstellt, wird dabei systematisch ausgeblendet.

Hinzu kommt der Exit-Fokus von Anfang an. Schon bei der Gründung wird der Verkauf als Ziel definiert, was zwei Funktionen erfüllt: Es suggeriert Erfolg, denn wer an den Exit denkt, muss ja davon ausgehen, dass es etwas zu verkaufen geben wird. Und es rechtfertigt schnelle Skalierung auf Kosten nachhaltiger Entwicklung. Die langfristige Perspektive wird dem kurzfristigen Liquiditätsereignis geopfert – ein Tausch, den das Ökosystem nicht bestraft, sondern belohnt.

Schließlich das Portfolio-Storytelling: Der Seri…