Warum Silicon Valley keinen Gödel braucht, aber dringend Hannah Arendt lesen sollte. Über die Verwechslung von Rechenkraft und Denken – und die Gefahren einer Welt, die für niemanden mehr gebaut wird.


Greg Satell hat kürzlich einen nachdenklichen Essay veröffentlicht[1]Why Silicon Valley’s Obsession With Logic Is Breaking the World, der vor dem techno-rationalistischen Hochmut des Silicon Valley warnt. Er zieht eine Linie vom Wiener Kreis der 1920er Jahre über Gödels Unvollständigkeitssätze bis zu den heutigen Tech-Milliardären, die glauben, die Welt mit Algorithmen optimieren zu können. Der Versuch verdient Respekt – aber er greift an entscheidender Stelle zum falschen Werkzeug.

Satell bemüht Martin Heidegger als Korrektiv. In dessen Essay »Bauen Wohnen Denken« findet er die These, dass wir die Welt nur gestalten können, wenn wir wissen, was es heißt, in ihr zu leben. Das klingt plausibel. Aber Heidegger ist, spätestens seit der Veröffentlichung der Schwarzen Hefte, als Gewährsmann diskreditiert. Was dort zum Vorschein kam – die »seinsgeschichtliche« Deutung des Judentums, die Rede von der »Selbstvernichtung« – ist keine Randnotiz eines verirrten Denkers, sondern durchzieht sein Werk systematisch. Und seine Philosophie selbst? Ein Jargon der Eigentlichkeit, der durch etymologische Spielereien und Bindestrichwörter Tiefe simuliert, wo keine ist. Carnap hat das 1932 seziert: Sätze wie »Das Nichts nichtet« sind grammatisch wohlgeformt, aber semantisch leer.

Es gibt eine bessere Quelle für die Kritik, die Satell formulieren will. Eine Denkerin, die das Denken ohne Geländer praktizierte, ohne ins Orakelhafte abzugleiten. Eine, die 1958 – also noch vor dem eigentlichen Durchbruch der Computertechnologie – eine präzisere Analyse des Problems geliefert hat als die meisten heutigen KI-Philosophen: Hannah Arendt in ihrem Buch Vita activa oder vom tätigen Leben.

Die Trivialität des Verstandes

Satells Gödel-Abschnitt ist zugleich der stärkste und schwächste Teil seines Essays. Die Unvollständigkeitssätze sind tatsächlich tiefgreifend. Aber die Interpretation gleitet in eine verbreitete Fehllesung ab. Gödel hat nicht gezeigt, dass »Logik zusammenbricht« oder dass formale Systeme fatal fehlerhaft sind. Er hat etwas Spezifischeres bewiesen: dass hinreichend mächtige formale Systeme ihre eigene Konsistenz nicht von innen heraus beweisen können. Die Ironie, die Satell bemerkt – dass Turings Arbeit zur Unentscheidbarkeit praktisches Computing ermöglichte – ist real. Aber die weitergehende Behauptung, man könne »keine Gesellschaft auf Basis unvollständiger Logik konstruieren«, ist ein philosophischer Sprung, der aus der Mathematik nicht folgt.

Hannah Arendt braucht Gödel nicht, um zu erklären, was mit dem Silicon-Valley-Denken nicht stimmt. In »Vita activa« unterscheidet sie scharf zwischen drei intellektuellen Tätigkeiten: dem Denken, das lebendiger Erfahrung bedarf; dem Erkennen, das einen Gegenstand braucht; und der logischen Verstandestätigkeit, die »weder, wie das Denken, der lebendigen Erfahrung noch, wie das Erkennen, eines vorgegebenen Gegenstandes bedarf, um sich zu entfalten«.

Diese dritte Tätigkeit – das Deduzieren, Subsumieren, Schlussfolgern – ist für Arendt ein »eigentlich physisches Kraft-Phänomen«. Der Verstand entfaltet eine Kraft, »die der Arbeitskraft, die sich aus dem Stoffwechsel des Menschen mit der Natur ergibt, sehr ähnlich ist«. Intelligenz ist messbar. Sie ist steigerbar. Und sie ist mechanisierbar.

Die Maschine als Beweis

Hier liegt Arendts entscheidende Einsicht, formuliert Jahrzehnte bevor jemand von »künstlicher Intelligenz« sprach:

Das Einzige, was die Computer, diese ins Gigantische gewachsenen Rechenmaschinen, wirklich beweisen, ist, dass das siebzehnte Jahrhundert Unrecht hatte, wenn es mit Hobbes meinte, dass der Verstand, nämlich die Fähigkeit des Schlussfolgerns, die höchste und menschlichste aller menschlichen Fähigkeiten ist.

Computer beweisen nicht die Überlegenheit des Verstandes – sie beweisen seine Trivialität. Wenn eine Maschine etwas kann, dann war es offenbar bloße Rechenkraft, prinzipiell nicht verschieden von Muskelkraft. Die Lebensphilosophen des 19. Jahrhunderts – Marx, Bergson, Nietzsche – hatten Recht: Der Verstand ist eine bloße Funktion des Lebensprozesses.

Wäre der Mensch wirklich nur ein animal rationale, das sich von anderen Tieren durch überlegene Intelligenz unterscheidet, dann wären die KI-Systeme tatsächlich »jene Homunculī, für die ihre Erfinder sie manchmal zu halten versucht sind«. Dass sie es nicht sind, zeigt, dass das Wesentliche woanders liegt.

Die Welt des weltlosen Verstandes

Arendts Begriff der »Weltlosigkeit« trifft das Problem präziser als Satells Konzept des »visceral abstract«. Der reine Verstand, der nur mit sich selbst spielt, ist »ebenso weltlos, d.h. ebenso außerstande, eine Welt zu errichten, wie die anderen physischen Prozesse, durch die das Leben den Menschen zwingt«.

Das logische Denken ist »ein Spiel des Verstandes mit sich selbst, das sich nahezu automatisch einstellt, wenn das Erkenntnisvermögen des Verstandes auf ihn selbst zurückschlägt und er, beraubt aller Realität, nur noch sich selbst erkennt«. Die Resultate dieses Spiels sind zwingende Wahrheiten – aber sie sind leer. Sie haben keinen Weltbezug.

Die moderne Wissenschaft, so Arendt, hat durch die reductio scientiae ad mathematicam gelernt, »an die Stelle des sinnlich Gegebenen ein System mathematischer Gleichungen zu setzen«. Sie kann sich nun »in einer Welt bewegen, die genau dem entspricht, was ein weltloser Verstand in sich selbst vorfindet«.

Das ist die präzise Beschreibung des Silicon-Valley-Problems. Die Tech-Elite baut eine Welt, die ihrem eigenen weltlosen Verstand entspricht – aber nicht der Welt, in der Menschen tatsächlich leben. Sarah Wynn-Williams beschreibt in »Careless People«, wie ein hochrangiger Meta-Manager überrascht war zu erfahren, dass Bewohner von Flüchtlingslagern keine Jobs haben. Das ist kein individuelles Versagen – es ist das systemische Resultat einer Weltlosigkeit, die zur Unternehmenskultur geworden ist.

Was auf dem Spiel steht

Satell hat Recht: Wir stehen an einem Scheideweg. Die Technologien, die unsere Welt formen – künstliche Intelligenz, synthetische Biologie, Quantencomputing – sind »tief verwurzelt in Konzepten, die nicht direkt erfahren werden können«. Die Feedback-Schleifen, die uns bei physischen Technologien warnen, wenn etwas schiefläuft, existieren hier nicht.

Aber die Lösung liegt nicht in der Rückkehr zu einem nebulösen »Wohnen« im Heideggerschen Sinne. Sie liegt in Arendts Unterscheidung: Wir müssen die Differenz zwischen Verstand und Denken, zwischen Rechenkraft und Weltbezug, wieder ernst nehmen. Die Maschinen können den Verstand ins Ungeheure steigern – aber das Denken, das der lebendigen Erfahrung bedarf, können sie nicht ersetzen.

Arendt warnt: Verlieren wir »den Sinn, durch den unsere fünf animalischen Sinne sich einer Menschenwelt fügen«, dann bleibt »vom menschlichen Wesen in der Tat nicht viel mehr übrig als die Zugehörigkeit zu einer Tiergattung, die sich vor anderen Tiergattungen nur dadurch auszeichnet, dass sie es vermag, Schlussfolgerungen zu ziehen«.

Das Silicon Valley verkauft uns diese Reduktion als Fortschritt. Es ist an der Zeit, ihr zu widersprechen – nicht mit Heideggers Orakelsprüchen, sondern mit der nüchternen Präzision einer Denkerin, die wusste, was auf dem Spiel steht, wenn wir aufhören, zwischen Rechnen und Denken zu unterscheiden.


Anmerkung zu Hannah Arendt 

Es gehört zur intellektuellen Redlichkeit, auf einen Widerspruch hinzuweisen: Hannah Arendt hat sich zeitlebens nicht von Heidegger distanziert. Die Affäre mit ihrem Lehrer begann 1924, als sie 18 war und er 35, verheiratet und bald NSDAP-Mitglied. Nach dem Krieg, nach Auschwitz, nahm sie den Kontakt wieder auf und half bei der Rehabilitierung seines Rufes in der angelsächsischen Welt. Zu seinem 80. Geburtstag 1969 hielt sie eine Laudatio, die sein Verhalten in der NS-Zeit als vorübergehende »Verirrung« verharmloste.

Diese persönliche Blindheit mindert nicht den analytischen Wert ihrer Unterscheidung zwischen Verstand und Denken. Aber sie illustriert vielleicht, wie schwer das Denken im Arendtschen Sinne tatsächlich ist – das fortgesetzte Prüfen der eigenen Erfahrung, das Widerstehen gegen bequeme Rationalisierungen. Niemand ist davor gefeit, in bestimmten Bereichen aufzuhören zu denken. Auch die nicht, die am klarsten beschrieben haben, was auf dem Spiel steht.