Von Weinstein bis Wedel, von R. Kelly bis Jimmy Savile: Medien decken jahrelang Übergriffe, bis externe Schocks das Schweigen brechen. Das ist kein Versagen einzelner Redaktionen – es ist die Konsequenz eines Geschäftsmodells, das auf dem Personenkult beruht und kaum einen Anreiz hat, sich selbst zu korrigieren.


Wenn Skandale um mächtige Prominente ans Licht kommen, folgt verlässlich die Frage: Warum erst jetzt? Warum wussten alle und schwiegen trotzdem? Die Antworten verweisen meist auf Einschüchterung, Machtgefälle, fehlende Beweise. Das stimmt, greift aber zu kurz. Es übersieht die Rolle der Medien – nicht als eingeschüchterte Beobachter, sondern als strukturell Beteiligte.

Das Geschäftsmodell des Personenkults

Weite Teile der Medienbranche betreiben mit Prominenten eine Form des Co-Brandings. Sie investieren über Jahre in den Aufbau von Narrativen: der geniale Oscar-Produzent, der R&B-König, der Hip-Hop-Mogul als Aufsteiger und Philanthrop. Diese Investitionen generieren kontinuierliche Erträge – Klicks, Auflage, Werbeeinnahmen, exklusiven Zugang zu Premieren, Interviews, Insider-Geschichten.

Die Prominenten wissen das und setzen es strategisch ein. Harvey Weinstein unterhielt eine PR-Maschinerie, die Journalisten wahlweise hofierte oder unter Druck setzte. Sean Combs pflegte sein Image als Mäzen und Geschäftsmann, das jede Kritik als Neid oder Rassismus erscheinen ließ. R. Kelly konnte sich darauf verlassen, dass seine überwiegend schwarzen, oft aus prekären Verhältnissen stammenden Opfer weniger Glaubwürdigkeit genossen als er selbst.

Die Falle der versunkenen Kosten

Je länger die Zusammenarbeit dauert, desto schwerer fällt der Ausstieg. Wer zehn Jahre lang Weinsteins Oscar-Kampagnen begleitet, von seinem Anzeigenbudget profitiert und seine Premieren als gesellschaftliche Ereignisse inszeniert hat, kann nicht plötzlich zum Ankläger werden. Man müsste erklären, warum man so lange mitgespielt hat. Die Vertuschung wird zur Selbstvertuschung.

Das ist keine moralische Schwäche, sondern ökonomische Rationalität unter falschen Anreizen. Jede weitere Saison, jedes weitere Album, jede weitere Gala erhöht die Investition in das gemeinsame Narrativ. Die Kosten des Ausstiegs steigen mit jedem Jahr: Abschreibung der bisherigen Berichterstattung, Verlust des Zugangs, Reputationsschaden, juristische Risiken. Also melkt man die Kuh weiter – und hofft, dass sie nicht in der eigenen Scheune kollabiert.

Das Kollektivgutproblem der Enthüllung

Hinzu kommt ein klassisches Trittbrettfahrer-Problem. Der Erste, der aussteigt, trägt die vollen Kosten: Klagen, Zugangsverlust, Anfeindungen aus der Branche. Der Nutzen der Enthüllung aber verteilt sich auf alle. Ronan Farrow recherchiert jahrelang unter persönlichem Risiko – den Pulitzer-Effekt erntet die gesamte Branche, die sich nun als mutig und aufklärerisch inszeniert.

Rational ist es daher, zu warten. Nicht selbst den Anfang machen, sondern beobachten, ob jemand anderes das Risiko übernimmt. Das erklärt, warum es fast immer externe Schocks braucht: eine hartnäckige Lokalreporterin wie Julie K. Brown beim Miami Herald, eine Dokumentation wie „Surviving R. Kelly“, ein geleaktes Video, das die Beweislast umkehrt – oder eine soziale Bewegung wie #MeToo, die plötzlich die Kosten-Nutzen-Rechnung verschiebt.

Die Medien als Immunitätsinfrastruktur

Man kann die Rolle der Medien in diesen Fällen als Versagen be…