Warren Buffett hat über sechs Jahrzehnte hinweg etwas geschafft, das in der Finanzwelt eine absolute Ausnahme darstellt: kontinuierlich überdurchschnittliche Renditen bei gleichzeitiger Vermeidung existenzbedrohender Fehler. Diese Leistung verdient Anerkennung – gerade weil die allermeisten, die es ihm gleichtun wollten, gescheitert sind. Zugleich lohnt eine kritische Lektüre seiner Schriften: nicht um den Meister vom Sockel zu stoßen, sondern um zu verstehen, wo die Philosophie trägt, wo sie an Grenzen stößt, und wo auch Buffett selbst seinen Prinzipien nicht immer treu geblieben ist.
Eine Ausnahmeleistung
Man muss sich die Dimension vergegenwärtigen: Als Buffett 1965 die Kontrolle über Berkshire Hathaway übernahm, war das Unternehmen eine strauchelnde Textilfirma. Heute ist es ein Konglomerat mit einem Börsenwert von über 800 Milliarden Dollar. Die durchschnittliche jährliche Wertsteigerung der Aktie lag über Jahrzehnte hinweg deutlich über dem S&P 500.
Das ist nicht normal. Die Finanzgeschichte ist voll von Investoren, die einige Jahre brillierten und dann abstürzten, von Fonds, die den Markt schlugen, bis sie es nicht mehr taten, von Strategien, die funktionierten, bis sie aufhörten zu funktionieren. Buffett hat alle überlebt – die Inflation der 1970er, den Crash von 1987, die Dotcom-Blase, die Finanzkrise 2008, die Corona-Verwerfungen.
Wer über diese Leistung hinweggeht, um sich an konzeptionellen Inkonsistenzen abzuarbeiten, verliert die Proportionen.
Der Geldverstand und seine philosophischen Wurzeln
Was unterscheidet Buffett von den vielen, die gescheitert sind? Er selbst brachte auf einem Aktionärstreffen den Begriff des „Geldverstands“ ins Spiel:
„Manche Menschen haben einen IQ von 120 oder von 140 oder was auch immer, und der Verstand des einen ist für etwas Bestimmtes geeignet, der eines anderen für etwas anderes. Ich kenne allerdings hochintelligente Menschen, die keinen Geldverstand besitzen und sehr unintelligente Entscheidungen treffen können.“
Robert Hagstrom hat diese Spur verfolgt und als geistige Quelle Ralph Waldo Emersons Essay Self-Reliance identifiziert – die amerikanische Philosophie der Selbstgenügsamkeit und des Nonkonformismus. Das klingt akademisch, trifft aber einen Kern: Buffetts Fähigkeit, sich von der Meinung der Masse zu lösen, nicht jeder Mode hinterherzulaufen, bei seinen Einschätzungen zu bleiben, auch wenn der Markt anderer Meinung ist – das ist keine Technik, sondern eine …

