James Utterback hat vor dreißig Jahren beschrieben, warum mächtige Unternehmen an radikalen Innovationen scheitern – nicht trotz, sondern wegen ihres Erfolgs. Die deutsche Industrie liefert gerade den Anschauungsunterricht.


Es gibt ein Paradox, das sich durch die Wirtschaftsgeschichte zieht wie ein roter Faden: Die erfolgreichsten Unternehmen einer Ära werden selten die Gewinner der nächsten. Kodak erfand die Digitalkamera und ging an ihr zugrunde. Nokia beherrschte den Mobilfunkmarkt und verlor ihn an Apple. Die deutschen Automobilhersteller perfektionierten den Verbrennungsmotor – und zögerten beim Elektroantrieb, bis Tesla die Spielregeln neu schrieb.

James Utterback, Innovationsforscher am MIT, hat dieses Muster in seinem Werk „Mastering the Dynamics of Innovation“ systematisch analysiert. Seine Erkenntnis ist unbequem: Das Scheitern etablierter Unternehmen an disruptiven Innovationen ist kein Betriebsunfall. Es ist strukturell angelegt.

Die Verflechtungsfalle

Utterbacks Argument beginnt mit einer einfachen Beobachtung: Wenn ein Unternehmen in einem Markt erfolgreich wird, baut es zwangsläufig ein dichtes Netz von Beziehungen auf. Zulieferer spezialisieren sich auf seine Anforderungen. Vertriebspartner richten ihre Strukturen danach aus. Kunden entwickeln Erwartungen und Loyalitäten. Mitarbeiter erwerben hochspezifische Kompetenzen.

Diese Verflechtungen sind zunächst Ausdruck von Effizienz. Sie ermöglichen Skaleneffekte, reduzieren Transaktionskosten, schaffen Verlässlichkeit. Doch sie werden zur Fessel, sobald sich die technologische Basis verschiebt. Denn dann bedeutet jede grundlegende Änderung am Produkt Änderungen im gesamten System – bei Materialien, Ausrüstung, Methoden, Zulieferern. Was für den Neueinsteiger eine Chance ist, wird für den Etablierten zur Hypothek.

Der Newcomer operiert außerhalb dieses Geflechts sozialer Verpflichtungen. Er muss keine Rücksicht nehmen auf bestehende Kundenbeziehungen, keine Zulieferer vor den Kopf stoßen, keine Vertri…