KI-Berater preisen Kosteneinsparungen und Effizienzgewinne durch Automatisierung – doch dieselbe Logik, die Unternehmen stärkt, kann ihre Zulieferer existenziell gefährden. Was passiert, wenn Kunden KI nicht nur nutzen, sondern damit ihre gesamte Wertschöpfungskette neu ordnen?
Die Rhetorik der KI-Beratung folgt einem vertrauten Muster: Unternehmen investieren in intelligente Systeme, automatisieren Prozesse, senken Kosten – und stärken damit ihre Wettbewerbsposition. Die Zahlen, die dabei zirkulieren, wirken überzeugend. In der Automobilindustrie reduziert KI Montagezeiten um dreißig Prozent, Fehlerquoten halbieren sich. Logistikunternehmen melden Einsparungen bei Transportkosten von fünfzehn Prozent. Deutsche Unternehmen investieren mittlerweile etwa zwei Prozent ihres Umsatzes in KI-Projekte, mit klarem Fokus auf Produktivitätssteigerung.
Diese Erfolgsgeschichten haben allerdings einen blinden Fleck. Sie betrachten das einzelne Unternehmen isoliert, als existiere es in einem Vakuum und nicht in einem Geflecht aus Kunden, Lieferanten und Wettbewerbern. Die entscheidende Frage lautet nicht, was KI für ein Unternehmen leistet, sondern was geschieht, wenn alle Akteure einer Wertschöpfungskette gleichzeitig nach derselben Effizienzlogik handeln.
Die Umkehrung der Logik
Was als Vorteil beginnt, kann sich gegen jene wenden, die ihn geschaffen haben. Dieselben Algorithmen, die einem Zulieferer helfen, seine Produktion zu optimieren, ermöglichen es seinen Kunden, ihn zu umgehen. Einzelhändler nutzen KI für Nachfrageprognosen und automatisierte Bestellungen – und stellen dabei fest, dass sie traditionelle Zwischenhändler nicht mehr benötigen. Die Maschine, die einst den Lieferanten effizienter machte, macht ihn nun überflüssig.
Die Beispiele aus der globalen Wirtschaft illustrieren diese Entwicklung. Maersk automatisiert Lieferantenverhandlungen, Amazon ordert autonom und umgeht dabei klassische Einkaufsprozesse. Wo früher Menschen verhandelten, abwägten und Beziehungen pflegten, entscheiden Algorithmen nach Kriterien, die sich in Millisekunden berechnen lassen. Für den Zulieferer bedeutet das: Seine Margen schrumpfen, seine Verhandlungsposition erodiert, seine Existenzberechtigung steht zur Disposition.
Die strukturelle Dimension
Die Tabelle, die Brancheneffekte gegenüberstellt, offenbart das Muster. In der Automobilindustrie führt Produktionsoptimierung beim Kunden zu weniger manuellen Teilebestellungen beim Zulieferer. In Logistik und Einzelhandel ermöglichen Routen- und Lager-KI automatisierte Verhandlungen mit Kostensenkungen von vierzig Prozent – Einsparungen, die irgendjemand bezahlen muss, nämlich der Lieferant. In der Fertigung reduzieren Frühwarnsysteme für Engpässe die Abhängigkeit von einzelnen Zulieferern.

Was hier sichtbar wird, ist keine Anomalie, sondern die konsequente Fortschreibung einer Logik. Effizienz, verstanden als Reduktion von Kosten und Zeit, kennt keine natürliche Grenze. Sie optimiert so lange weiter, bis jede überflüssige Schnittstelle eliminiert ist. Der Zulieferer, der gestern noch Partner war, wird morgen zur überflüssigen Schnittstelle.
Das deutsche Dilemma
Für den deutschen Mittelstand verschärft sich dieses Problem durch strukturelle Eigenheiten. Die KI-Adoption im B2B-Großhandel verläuft langsamer als in anderen Märkten, der Wettbewerbsdruck auf Zulieferketten wächst jedoch stetig. Wer später investiert, findet eine Landschaft vor, in der die Spielregeln bereits von anderen geschrieben wurden – von Plattformen, die Effizienzgewinne nicht teilen, sondern monopolisieren.
Die strategische Antwort, die sich aufdrängt, klingt plausibel: Unternehmen müssen von reiner Kostensenkung zu resilienten Ökosystemen wechseln, KI-gestützte Kooperationen mit Zulieferern aufbauen statt sie auszupressen. Doch diese Empfehlung unterschätzt die Dynamik des Marktes. Wer in einem System, das Effizienz belohnt, auf Kooperation setzt, riskiert, von weniger skrupulösen Wettbewerbern unterboten zu werden.
Das Rennen nach unten
Am Ende dieser Entwicklung steht die Möglichkeit eines kollektiven Schadens. Wenn jeder Akteur in der Kette seine KI-Systeme darauf optimiert, Kosten zu senken und Margen zu drücken, entsteht ein Abwärtswettlauf, der niemanden verschont. Die Effizienzgewinne, die auf der Ebene des einzelnen Unternehmens so einleuchtend wirken, summieren sich zu einem System, das seine eigene Substanz verzehrt.
Die Ironie liegt darin, dass die KI-Berater, die diese Entwicklung befördern, nicht falsch liegen. Ihre Analysen sind korrekt, ihre Empfehlungen rational. Aber sie betrachten ein Fragment und halten es für das Ganze. Die eigentliche Frage ist nicht, wie ein Unternehmen KI nutzen kann, um effizienter zu werden. Die Frage ist, ob Effizienz als leitendes Prinzip einer Volkswirtschaft trägt – oder ob sie, konsequent zu Ende gedacht, die Strukturen zerstört, die sie voraussetzt.
Die Antwort auf diese Frage wird nicht von einzelnen Unternehmen gegeben werden. Sie erfordert eine Perspektive, die über Quartalsberichte und ROI-Kalkulationen hinausreicht – und die Bereitschaft, den eigenen Erfolg nicht auf Kosten jener zu erzielen, von denen man morgen wieder abhängig sein könnte.
Quellen:
The Decoder: „Unternehmen nutzen generative KI vor allem zur Effizienzsteigerung“
https://the-decoder.de/unternehmen-nutzen-generative-ki-vor-allem-zur-effizienzsteigerung/
EducAITE: „Beispiele und Fallstudien: Wie Künstliche Intelligenz Kosten in Unternehmen senken kann“
https://educaite.de/blogs/kunstliche-intelligenz/beispiele-und-fallstudien-wie-kunstliche-intelligenz-kosten-in-unternehmen-senken-kann
Emoldino: „How AI-Powered Supplier Negotiation Increased Cost Savings by 40% – Real Case Study“
https://emoldino.com/how-ai-powered-supplier-negotiation-increased-cost-savings-by-40-real-case-study/
Qymatix: „Artificial Intelligence in German B2B Companies“
https://qymatix.de/en/ai-figures-b2b-companies/
Intellias: „Real-World Examples of Companies Using AI In Supply Chain“
https://intellias.com/ai-in-supply-chain/
NTT Data: „5 ways manufacturers are building agile supply chains in the AI era“
https://ch.nttdata.com/insights/blog/5-ways-manufacturers-are-building-agile-supply-chains-in-the-ai-era
Manutan: „Wie revolutioniert KI die Optimierung Ihrer Lieferkette?“
https://www.manutan.de/blog/intelligentes-und-effizientes-arbeiten/wie-revolutioniert-ki-die-optimierung-ihrer-lieferkette/
