Warum Schweden handelte, während Deutschland analysierte – Eine kritische Dekonstruktion zweier Entwicklungspfade
Von Ralf Keuper
Das schwedische Startup-Ökosystem gilt als europäische Erfolgsgeschichte. Stockholm produziert Unicorns wie am Fließband: Spotify, Klarna, King, iZettle. Die Erklärung scheint einfach – Liberalisierung der Telekommunikation, die Home-PC-Reform von 1998, die „Skype-Mafia“ als Reinvestitionskreislauf. Deutschland hingegen, so die gängige Erzählung, habe den Anschluss verloren: zu langsam, zu bürokratisch, zu sehr im alten Denken verhaftet.
Doch bei genauerem Hinsehen erweisen sich beide Narrative als zu glatt. Das schwedische Erfolgsmodell unterschlägt entscheidende Vorbedingungen; die deutsche Verfallsgeschichte ignoriert, dass die richtigen Analysen längst vorlagen. Die Wahrheit liegt in der Pfadabhängigkeit – und in der Frage, warum manche Gesellschaften aus Erkenntnis Handlung ableiten, während andere Studien über ihren Rückstand produzieren.
Der „accidental information superhighway“
Jochen Steinbicker hat in seiner vergleichenden Studie „Pfade in die Informationsgesellschaft“ eine These formuliert, die beide nationalen Erzählungen relativiert: Was im Rückblick wie geplantes Vorgehen aussieht, erweist sich bei genauerem Hinsehen als die „Verquickung vieler Zufälle, eine lange Kette von Versuchen und Irrtümern“. Er spricht vom „accidental information superhighway“.
Weder reine Marktlogik noch staatliche Steuerung allein erklärt die Entwicklung. Die lange Vorbereitungsphase, die in den untersuchten Ländern bereits in den 1960er Jahren begann, führte dazu, dass ab Mitte der 1990er Jahre die Früchte eingesammelt werden konnten – allerdings von unterschiedlichen Akteuren und mit unterschiedlichen Ergebnissen.
Auffällig: Steinbicker vergleicht USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland – Schweden fehlt. Wurde das schwedische Modell erst nachträglich…
