Celonis gilt als deutsches Tech-Wunderunternehmen – mit Milliardenbewertung, Fortune-Auszeichnungen und rasantem Wachstum. Doch hinter der glänzenden Fassade zeigen sich Fragen: explosive Expansion ohne öffentlichen Profitabilitätsnachweis, kritische Stimmen auf Bewertungsportalen und Parallelen zu früheren Boom-Unternehmen der Branche. Ein analytischer Blick auf Licht und Schatten.
Die Geschichte von Celonis liest sich wie ein modernes Tech-Märchen. Das Münchner Unternehmen hat sich in wenigen Jahren zum globalen Marktführer im Process Mining entwickelt, den Umsatz nach eigenen Angaben auf etwa zwei Milliarden US-Dollar verdoppelt und wurde 2025 auf Platz drei der Fortune Future 50 Liste gewählt. Über 200 Fortune-500-Konzerne wie Coca-Cola, Siemens und BMW zählen laut Unternehmensangaben zu den Kunden. Die Unternehmensbewertung soll bei 13 Milliarden US-Dollar liegen – der höchste Wert eines deutschen Tech-Unternehmens vor dem Börsengang. Eine beeindruckende Entwicklung.
Doch wer genauer hinsieht, stellt fest: Was Celonis nicht kommuniziert, ist ebenso aufschlussreich wie das, was stolz verkündet wird. Konkrete Zahlen zur Profitabilität, zu operativen Margen oder zum Nettoergebnis sind öffentlich nicht verfügbar. Diese selektive Transparenz entspricht einem verbreiteten Muster in der Tech-Branche: Unternehmen veröffentlichen bevorzugt jene Kennzahlen, die Wachstum und Marktposition belegen – Umsatzentwicklung, Marktanteile, prominente Kunden. Weniger günstige Daten bleiben oft unerwähnt.
Die wirtschaftliche Logik dahinter ist nachvollziehbar: Starkes, globales Wachstum wie bei Celonis erfordert in der B2B-Software-Branche typischerweise massive Investitionen, die kurzfristige Profitabilität in den Hintergrund rücken lassen. Hohe Vertriebskosten für die Gewinnung von Großkunden, überdurchschnittliche Ausgaben für Forschung und Entwicklung, internationale Expansion, Personalaufbau von über 3.000 Mitarbeitern – all das bindet erhebliche Ressourcen. Der Fokus liegt erkennbar auf Marktanteilen und Skalierung. Vergleichbare Unicorns wie Snowflake oder UiPath benötigten Jahre, bis sie profitabel wurden. Celonis scheint einem ähnlichen Entwicklungspfad zu folgen.
Während die Außendarstellung von Innovationskraft und Zukunftsvision geprägt ist, zeigt sich auf Arbeitgeberbewertungsplattformen ein differenzierteres Bild. Auf kununu liegt die Gesamtbewertung bei 3,9 von 5 Punkten. 72 Prozent der Bewertenden empfehlen das Unternehmen weiter, etwa ein Viertel rät davon ab. Zu den wiederholt genannten Kritikpunkten gehören nach Angaben von Nutzern: Führungswechsel, Überstundenkultur, Gehaltsunterschiede und hohe Arbeitsbelastung.
Einige ehemalige Mitarbeiter berichten in ihren Bewertungen von einer als amerikanisch empfundenen Unternehmenskultur mit kürzeren Kündigungsfristen. Auch Vorwürfe bezüglich Greenwashing und der Diskrepanz zwischen Nachhaltigkeitskommunikation und gelebter Praxis tauchen in einzelnen Bewertungen auf. Das Unternehmen kommentiert über sein People & Culture Team regelmäßig kritische Bewertungen und verweist dabei auf laufende Verbesserungsinitiativen.
Es zeigt sich das typische Spannungsfeld aggressiven Wachstums: Die Balance zwischen Expansion und interner Kultur gerät unter Druck. Was nach außen als dynamisches Tech-Unternehmen erscheint, wird intern von manchen als stressgeprägt mit Verbesserungsbedarf in Führung und Kommunikation beschrieben. Andere Mitarbeiter heben dagegen moderne Ausstattung, internationale Teams und Entwicklungsmöglichkeiten positiv hervor. Das Bild ist heterogen und offenbar stark teamabhängig.
Auch die zahlreichen Rankings und Auszeichnungen verdienen eine kritische Einordnung. Wirtschaftsmedien wie Fortune oder Fast Company haben in der Vergangenheit wiederholt Unternehmen ausgezeichnet, die später in Schwierigkeiten gerieten – von Enron über Wirecard bis WeWork. Solche Rankings basieren häufig auf kurzfristigen Wachstumskennzahlen, Innovationsnarrativ und subjektiven Kriterien, weniger auf langfristigen Fundamentaldaten. Die Auswahlkriterien sind oft nicht vollständig transparent. Unternehmen haben naturgemäß Interesse daran, in solchen Rankings präsent zu sein.
Auszeichnungen dieser Art können daher als Indikatoren für aktuelles Momentum und Sichtbarkeit verstanden werden, weniger als verlässliche Prognose für nachhaltigen Erfolg. In Wachstumsphasen werden Technologieunternehmen mit zukunftsträchtigen Themen wie KI oder Digitalisierung bevorzugt gewürdigt, während strukturelle Risiken – hohes Wachstumstempo, Kulturthemen, fehlende Profitabilitätsnachweise – häufig weniger Beachtung finden.
Aufschlussreich ist der historische Vergleich mit IDS Scheer. Das Unternehmen war in den 2000er Jahren mit seiner ARIS-Plattform führend im Business Process Management – international expandierend, technologisch anerkannt, mit knapp 3.500 Mitarbeitern und starken Partnerschaften, insbesondere mit SAP. Nach Erreichen des Höhepunkts folgte 2009 der Verkauf an Software AG.
Die Parallelen sind bemerkenswert: Beide Firmen profitierten von einem neuen Technologiefeld mit hoher Markterwartung – damals BPM, heute Process Mining und KI. Beide verfolgten aggressive Internationalisierungsstrategien mit schnellem Personalwachstum. Beide waren auf Großkunden und strategische Partnerschaften fokussiert. Und bei beiden stellten sich im Zeitverlauf Fragen nach nachhaltigem Business-Impact und Integration beim Kunden.
Die Lektion: Technologie-Marktzyklen durchlaufen typische Phasen. Was heute als disruptiv gilt, kann morgen zum Standard werden. Wachstum allein garantiert keinen langfristigen Erfolg. Entscheidend sind nachhaltige Differenzierung, kontinuierliche Innovation und messbare Wertschöpfung im Kundengeschäft. Zudem zeigt die Branchenhistorie, dass viele solcher Unternehmen mittelfristig von größeren Anbietern übernommen werden.
Das bedeutet nicht, dass Celonis vor ähnlichen Herausforderungen stehen muss. Das Unternehmen verfügt nach eigenen Angaben über technologische Kompetenz, einen beachtlichen Kundenstamm und starkes Marktmomentum. Über 90 Prozent des Umsatzes stammen demnach aus wiederkehrenden Abonnements, was für Planbarkeit spricht. Der Markt für Process Mining wächst laut Analystenschätzungen mit etwa 33 Prozent jährlich, Celonis wird ein Marktanteil von circa 35 Prozent zugeschrieben.
Die Zukunftsfähigkeit wird sich jedoch nicht primär an Wachstumszahlen oder Auszeichnungen entscheiden, sondern daran, ob der Übergang zu nachhaltiger Profitabilität und tiefer Kundenintegration gelingt – über das aktuelle Momentum hinaus. Der geplante Börsengang dürfte hier zum Wendepunkt werden: Kapitalmarkt-Investoren werden verstärkt auf operative Margen, Free Cashflow und langfristige Rentabilität achten, weniger auf Umsatzwachstum allein.
Die Entwicklung von Celonis ist damit exemplarisch für ein Grundmuster der Tech-Industrie: schnelle Expansion auf Basis von Risikokapital und Zukunftsversprechen, aggressive Markteroberung bei hohem Investitionsbedarf, professionelle Außendarstellung bei gleichzeitig begrenzter Transparenz über die vollständige wirtschaftliche Situation. Ob daraus eine langfristige Erfolgsgeschichte wird oder ob sich historische Muster wiederholen, wird sich in den kommenden Jahren zeigen.
Bis dahin bleibt die differenzierte Betrachtung angebracht: Wer ausschließlich Rankings und Pressemitteilungen betrachtet, erhält ein unvollständiges Bild. Relevante Informationen finden sich auch in dem, was nicht kommuniziert wird – in fehlenden Profitabilitätsdaten, in Mitarbeiterbewertungen auf Plattformen, in historischen Branchenvergleichen. Celonis ist ein bemerkenswertes Unternehmen in einer dynamischen Wachstumsphase. Die weitere Entwicklung bleibt zu beobachten.
Quelle:
Datenanalyst Celonis wächst dank Handelskonflikt
Celonis wächst weiter und nimmt Kurs auf Rekord-IPO

