Frederick Brooks‘ The Mythical Man-Month und die strukturellen Pathologien deutscher Digitalisierungsprojekte

Vor fünfzig Jahren formulierte Frederick Brooks Gesetzmäßigkeiten der Softwareentwicklung, die bis heute ignoriert werden – mit vorhersagbaren Folgen. Eine Relektüre seines Klassikers zeigt, warum deutsche Großprojekte von Gaia-X bis zur Bundescloud scheitern müssen, solange sie die fundamentale Natur komplexer Systementwicklung verkennen.


Die Wiederkehr des immer Gleichen

Es gehört zu den bemerkenswerten Konstanten der IT-Geschichte, dass bestimmte Fehler mit geradezu ritueller Zuverlässigkeit wiederholt werden. Frederick Brooks, der als Projektmanager des IBM System/360 die Erfahrungen einer der größten Softwareentwicklungen der 1960er Jahre destillierte, beschrieb 1975 Pathologien, die sich in jedem gescheiterten deutschen Digitalisierungsprojekt der Gegenwart wiederfinden lassen. Das ist kein Zufall, sondern Struktur.

Brooks‘ Kernthesen sind dabei so einfach wie kontraintuitiv. Sie widersprechen dem industriellen Denken, das deutsche Manager geprägt hat – dem Glauben, dass mehr Ressourcen mehr Output erzeugen, dass Arbeitsteilung immer effizienter ist, dass sich komplexe Probleme durch organisatorische Skalierung lösen lassen. Die hartnäckige Weigerung, diese Einsichten anzuerkennen, erklärt einen Großteil des systematischen Scheiterns, das wir bei ADAMOS, Paydirekt, Gaia-X oder dem digitalen Führerschein beobachten.

Brooks’s Law: Die Nicht-Austauschbarkeit von Zeit und Personal

Brooks formuliert das nach ihm benannte Gesetz mit lapidarer Schärfe: Adding manpower to a late software project makes it later. Diese scheinbar paradoxe Aussage gründet auf einer fundamentalen Einsicht in die Natur von Softwareentwicklung, die sich auf jede Form komplexer Systementwicklung verallgemeinern lässt.

Der entscheidende Punkt liegt in der Unterscheidung zwischen parallelisierbaren und sequentiellen Aufgaben. Arbeiten wie Weizenernte oder Baumwollpflücken lassen sich beliebig auf mehr Arbeiter verteilen – hier sind Mensch und Monat tatsächlich austauschbare Größen. Softwareentwicklung funktioniert anders: Sie ist inhärent sequentiell strukturiert. Brooks vergleicht sie mit der Schwangerschaft, die neun Monate dauert, unabhängig davon, wie viele Frauen man mit der Aufgabe betraut.

Brooks identifiziert zwei Schlüsselgrößen: Die Projektdauer hängt von den sequentiellen Abhängigkeiten ab, die ma…