Von Ralf Keuper
In dem insgesamt lesenswerten Beitrag Wandlungswunder deutsche Industrie – auch digital unkaputtbar? geht das Autoren-Duo Eva Müller und Dietmar Palan der Frage nach, ob die deutsche Industrie ihre Wandlungsfähigkeit auch im Zeitalter der fortschreitenden Digitalisierung unter Beweis stellen kann.
Die Erfolgsformel der deutschen Industrie machen die Autoren u.a. am Beispiel des Herstellers für elektronische Verbindungstechnik Weidmüller fest:
Unternehmen wie Weidmüller ist es zu verdanken, dass die deutsche Industrie es über Jahrzehnte immer wieder geschafft hat, auch große Basisinnovationen in ihre Produkte zu integrieren, selbst wenn diese technologischen Neuheiten gar nicht hierzulande erfunden wurden, sondern im Silicon Valley. Die Weidmüllers dieser Republik sorgen dafür, dass die deutsche Wirtschaft bis heute auf einem breiten und gesunden industriellen Fundament steht, eines, das bei hochentwickelten Volkswirtschaften seinesgleichen sucht.
Nebenbei: Weidmüller stand im vergangenen Jahr wegen seines nicht-freundlichen Übernahmeversuchs des Familienunternehmens R. Stahl in der Kritik. Der Deutschlandfunk nahm das zum Anlass, von dem entzauberten Mythos Familienunternehmen zu sprechen.
Eine weitere nachdenkenswerte Diagnose der Autoren:
Am Standort D haben sich in großem Maßstab Branchen erhalten, die mehr als 100 Jahre alt und anderswo längst ausgestorben sind. Während einst ruhmreiche europäische Automarken wie Fiat Chrysler Automobiles , Lancia, Renault , Peugeot oder Citroën ums Überleben kämpfen, sind die deutschen Hersteller allesamt wohlauf, weil Premium. Und auch die heimischen Chemiekonzerne gelten international nach wie vor als höchst wettbewerbsfähig.
Was die Premiumhersteller angeht, räumen die Autoren auf den nächsten Seiten selber ein, dass diesen Ungemach von Apple, Google, Tesla & Co. drohen könnte.
Dennoch hat das Geschäftsmodell der deutschen Industrie einige Defizite:
Trotz dieser Fähigkeit, sich technologisch an die Spitze einer Bewegung zu setzen und die Premiumwelle zu reiten, hat sich selbst hierzulande der harte industrielle Kern im Laufe der Zeit dezimiert. Er konzentriert sich zunehmend auf die Branchen Chemie, Maschinen, Auto und Elektronik. Das Tätigkeitsfeld ist so eng, dass kaum mehr Spielraum für Ausfälle bleibt – wie mit Solarherstellern oder Telekomausrüstern geschehen.
Mit anderen Worten: Das Geschäftsmodell D hat Schlagseite. Die Abhängigkeit von bestimmten Branchen ebenso wie die Pfadabhängigkeit haben bedenkliche Ausmaße angenommen.
Nur gut, dass Deutschland so tüchtige Mittelständler hat, die im Bereich Industrie 4.0 ein Wort mitsprechen wollen. Gerne wird in dem Zusammenhang die Trumpf-Gruppe aus Ditzingen als Paradebeispiel herangezogen. Deren medienwirskam auftretende Chefin Nicola Leibinger-Kammüller ist so etwas wie der Liebling der Wirtschaftsredaktionen. (Seit der Finanzkrise ist es aber etwas ruhiger um ihre Person geworden – so mein Eindruck). Scheinbar hat sie noch nicht die richtige Fallhöhe erreicht, um sie herunter schreiben zu können 😉 Die Mitarbeiter sehen ihren Arbeitgeber übrigens nicht ganz so positiv wie einige Redakteure.
Das Heil der deutschen Industrie sehen die Autoren ebenso wie die diversen Berater in der Software und Vernetzung.
Die Programme, die für die Vernetzung und Steuerung von Maschinen und Anlagen benötigt werden, könnten sich als Einfallstor für neue digitale Konkurrenten erweisen. Die aus den Schnittstellen der Netzwerke abgesaugten Daten ließen sich nutzen, um eigene Wartungs- und Reparaturdienste anzubieten und sich so zwischen die Maschinenbauer und ihre Kundschaft zu schieben.
Folglich gehe es in Zukunft um die Hoheit der Daten, um nicht von Apple, Google & Co auf den Rang von Zulieferern reduziert zu werden. Das Problem ist nur, Apple und Google sind schon längst in den Autos. Von dort werden sie sich auch von Daimler, BMW und VW nicht mehr vertreiben lassen. Sie beherrschen die Informationsflüsse. Das ist das eigentliche Dilemma.
Insgesamt geben sich die Autoren und einige Interviewpartner optimistisch, dass der deutschen Industrie der Turnaround auch in der Digitalmoderne gelingen wird. Dafür führen sie einige plausible Argumente an, die in der Summe jedoch nicht ganz überzeugen können.
Zwar ist es richtig, dass die deutsche Industrie noch immer rechtzeitig den Schwenk in den neuen Modus geschafft hat. Bisher basierte das deutsche Modell auf vergleichsweise langen Innovationszyklen, die genügend Zeit für die schrittweise Verbesserung, für German (Over-) Engineering ließen. Im digitalen Zeitalter gilt das häufig nicht mehr. Die Zyklen werden kürzer, die Produkte nicht selten nach der Auslieferung weiter bearbeitet. Ein Modus, den die Deutschen bisher nicht wirklich beherrschen. Hier gilt noch immer: Unsere Produkte sind, allein schon wegen ihrer hohen Qualität, selbsterklärend. Falls es doch mal Probleme gibt, rückt der Kundenservice aus – oder der Kunde muss in die Werkstatt. Was aber, wenn die Produkte im ersten Wurf gar nicht so perfekt sein und vielleicht auch gar nicht mehr diese Perfektionsgrad erreichen müssen, da ihre Lebensdauer ohnehin begrenzt ist? Stattdessen handelt es sich künftig um einen kontinuierlichen Formwandel. Die Gefahr besteht, dass sich die deutsche Industrie mit ihrem Hang zum Over Engineering in eine Komplexitätsfalle begibt, wie sie Jürgen Kluge u.a. in Wachstum durch Verzicht. Schneller Wandel zur Weltklasse: Vorbild Elektronikindustrie thematisiert haben.
Was auffällt ist, dass Deutschland den Anschluss auf Gebieten verloren hat, bei denen es um den direkten Kontakt mit den Endkunden geht. Der PC wurde von Siemens und Nixdorf gleichermaßen verschlafen, die Produktion von Mobiltelefonen haben deutsche Hersteller ebenfalls aufgegeben, in der Unterhaltungselektronik spielen deutsche Unternehmen kaum noch eine Rolle, in der Musik- und Medienindustrie ist der Zug abgefahren, Softwareunternehmen, die für den Endverbraucher produzieren, sind hierzulande weitgehend Fehlanzeige, jedenfalls wenn es um globale, europäische Dimensionen geht. Im E-Commerce versucht Rocket Internet den Anschluss zu halten, jedoch nur noch mit Blick auf Europa und Afrika; Regionen, in denen Amazon, Alibaba & Co. noch keine Dominanz erreicht haben. Rocket Internet verweist immer wieder gerne auf ihren betont deutschen, ingenieursmäßigen Ansatz. Auch SAP kommt noch aus der alten industriellen, fast schon hegelschen Logik: Entweder, ihr passt eure Prozesse an unsere Software an, oder wir lassen es …
Da ist ein Perspektivwechsel nötig. Nicht unmöglich, aber auch nicht trivial … Wenn wir das hinbekommen, ist unser Geschäftsmodell für eine gewisse Zeit “unkaputtbar”.
Weitere Informationen:
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Innovationen für die Katz. Kommentar von Bernd Freytag in der FAZ vom 28.05.2016