Cyber Valley, KI-Parks, Biotech-Hubs – Deutschland inszeniert sich als Vorreiter des digitalen Wandels. Doch hinter den milliardenteuren Showcases verbirgt sich eine ernüchternde Realität: Die meisten Cluster bleiben Nischenprojekte ohne Breitenwirkung, Fördermillionen versickern in kurzlebigen Gründerzentren, und die erhoffte Transformation zur Dienstleistungs- und Wissensökonomie stockt. Während Politik und Medien Erfolgsgeschichten zelebrieren, zehren Regionen weiterhin von traditioneller Industrie – und die Frage, wer beim Strukturwandel abgehängt wird, bleibt unbeantwortet.
In Deutschland herrscht Aufbruchsstimmung – zumindest auf dem Papier. Von Tübingen über Heilbronn bis Dresden wird der digitale und wissensbasierte Strukturwandel verkündet. Clusterinitiativen schießen aus dem Boden, Innovationsparks werden eröffnet, Fördermillionen fließen in Hightech-Hubs. Das politische Versprechen klingt verlockend: Regionen erfinden sich neu, werden zu Zentren der KI, Biotechnologie oder Green Tech. Deutschland, so die Erzählung, positioniert sich als Motor der Zukunftswirtschaft.
Doch was bleibt von diesem Glanz, wenn man genauer hinsieht? Die Antwort ist unbequem: zu oft nur Inszenierung.
Die Cluster-Illusion: Schmal, isoliert, subventionsabhängig
Seit Jahren investiert Deutschland Milliarden in Clusterinitiativen. Das Cyber Valley in Tübingen soll zur KI-Weltspitze gehören, der KI-Park Heilbronn Spitzentechnologie in die Provinz bringen, Biotech-Hubs in München und Berlin die Medizin revolutionieren. Die Hoffnung: Aus diesen Leuchttürmen strahlt Innovation in die gesamte Region, schafft Arbeitsplätze, kurbelt die Wertschöpfung an.
Die nüchterne Bilanz fällt anders aus. Die große Mehrheit dieser Cluster bleibt thematisch und personell schmal, oft erschreckend schlecht vernetzt mit der breiten Wirtschaft vor Ort. Während Forschungsinstitute und einige Spezialfirmen im Rampenlicht stehen, profitieren Mittelständler, Handwerksbetriebe und klassische Dienstleister kaum. Die versprochene Diffusionswirkung ins Umland bleibt aus. Stattdessen entstehen hochspezialisierte Inseln, die ohne kontinuierliche Subventionen schnell an Kraft verlieren.
Was fehlt, ist das, was Innovationsforscher das „Quad“ nennen: die produktive Verflechtung von vier Sektoren – Staat, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Echte Erfolgsmodelle wie Silicon Valley oder Bangalore brauchten Jahrzehnte, um diese komplexe Infrastruktur aufzubauen. Sie entstanden nicht durch Förderbescheide, sondern durch geduldige Netzwerkarbeit, Vertrauensbildung über Sektorgrenzen hinweg und die kontinuierliche Anpassung institutioneller Rahmenbedingungen. Deutsche Clusterinitiativen setzen dagegen meist auf schnelle Sichtbarkeit: ein Technologiepark hier, ein Forschungszentrum dort, dazu Risikokapital – fertig ist der „Hub“. Dass echter Strukturwandel Zeit, Geduld und vor allem die Bereitschaft zu institutionellen Reformen erfordert, wird ausgeblendet.
Echte Erfolgsmodelle – Cluster, die nachhaltig Jobs schaffen, regionale Wertschöpfungsketten stärken und ohne permanente Förderung überleben – sind rar. Was bleibt, ist vor allem eines: Imagepflege.
Berlin, München, Dresden – die Realität hinter den Erfolgsshows
Berlin feiert sich als „KI-Hauptstadt“, die „Silicon Allee“ wird als deutsches Pendant zum Valley beschworen. KI-Labs am Campus Charlottenburg, unzählige Startup-Events, Milliardenvolumen an Investitionen. Doch die Breitenwirkung? Minimal. Viele Startups scheitern an Finanzierung oder Skalierung, erfolgreiche wandern ins Ausland ab. Die klassische Berliner Wirtschaft – Handwerk, Verwaltung, produzierende Betriebe – bleibt weitgehend unberührt. Die Erfolgszahlen beziehen sich meist auf Investitionsvolumen, nicht auf reale Beschäftigung oder dauerhafte Wertschöpfung.
München glänzt mit dem Technology Campus, dem Biotech-Park Martinsried, hohen Patentanmeldungen. Doch auch hier zeigen sich Risse. Nach Pleiten wie Dornier und Fairchild stehen Flächen im Luftfahrtcluster leer oder werden umgewidmet. Biotech- und IT-Erfolge konzentrieren sich auf wenige Player. Und die Abhängigkeit vom Automobilsektor? Enorm. Gerade die VW- und Audi-Standorte samt Zulieferern kämpfen massiv mit der E-Mobilitätskrise – der erhoffte Schwenk zur neuen Wertschöpfung stockt.
Norddeutschland setzt auf maritime Cluster und Green Tech. Bremerhaven als Windenergie-Zentrum, Hamburg als maritimes Innovationslabor. Die Realität: Zahlreiche Insolvenzen in der Windindustrie, enttäuschende Beschäftigungseffekte, internationale Konkurrenz frisst Marktanteile. Die maritime Wirtschaft stagniert trotz aller Innovationsprojekte, Werftensterben und Jobverlust prägen das Bild seit Jahren.
Ostdeutschland gilt als Erfolgsgeschichte mit „Silicon Saxony“ und Mikroelektronik in Dresden. Doch erinnern wir uns an das „Solar Valley“ in Thalheim: Nach einem kurzen Fördergeldboom und euphorischen Prognosen folgte der große Flop. Chinesische Konkurrenz, Pleiten, Massenentlassungen. Die Halbleiterindustrie wächst zwar, schafft aber weit weniger Arbeitsplätze als erhofft. Strukturschwache Regionen profitieren selten, Abwanderung bleibt Thema.
Die Transformation, die nicht stattfindet
Das eigentliche Problem liegt tiefer. Deutschland hängt strukturell an seiner traditionellen Industrie: Automobil, Maschinenbau, Chemie. Diese Sektoren füllen die Kassen der Kommunen, sichern Millionen von Jobs, tragen die Sozialsysteme. Die Transformation zur „Service Nation“, zur digitalen Wissensökonomie, verläuft langsam, mit enormen Friktionen.
Die Prognosen über den rasanten Aufstieg wissensbasierter Services und digitaler Plattformarbeit klingen verheißungsvoll. Die Realität sieht anders aus: Nur ein Bruchteil der Belegschaft kann tatsächlich ins Digitalgeschäft wechseln. Umschulungen und schnelle „Skillshifts“ sind strukturell, sozial und politisch hochkomplex. Große Plattform- und Cloud-Anbieter stammen meist aus dem Ausland – regionale Wertschöpfung bleibt zurück.
Die meisten neuen Jobs in den hochgelobten Innovationszentren entstehen in spezialisierten Nischen. Der Großteil des Arbeitsmarkts verharrt im klassischen Sektor. Die regionalen Steuer- und Sozialkassen zehren noch immer von traditionellen Industriejobs, nicht von KI-Startups oder Green-Tech-Parks.
Gründerzentren ohne Zukunft, Subventionen ohne Wirkung
Überall im Land entstehen Gründerzentren, Digital-Hubs, Innovationslabs. Nach Auslaufen der Förderperiode bleiben viele davon leer oder werden umgenutzt. Subventionsgetriebene „Erfolgsstories“ – Milliardeninvestitionen in E-Auto-Fabriken, Batteriestandorte – verpuffen oft binnen weniger Jahre. Mangelnde Konkurrenzfähigkeit, Standortschwäche, globaler Kostendruck lassen die Euphorie schnell verfliegen.
Ein besonders eindrückliches Beispiel für gescheiterte Clusterpolitik liefert Malaysia. In den 2000er Jahren ließ Premierminister Mahathir Mohamad mitten in Kautschukplantagen die Hightech-Stadt Cyberjaya errichten – auf den ersten Blick ein asiatisches Palo Alto. Doch die politische Führung agierte autoritär, misstraute den Universitäten aus Angst vor studentischen Aufständen, und zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen des Landes herrschte tiefes Misstrauen. Ein Professor brachte es auf den Punkt: „Die Regierung tut so, als würde sie ernsthafte Forschung unterstützen, und wir tun so, als würden wir sie betreiben.“ Ohne Vertrauen zwischen den Sektoren blieb Cyberjaya ein Potemkinsches Dorf – eine Montagehalle für globale Zulieferketten, verwundbar gegenüber jeder Konkurrenz.
Selbst Digitalinitiativen in Verwaltung und Bildung versickern regelmäßig in Konzepten. IT-Projekte wie Schul-Tablets oder Verwaltungsclouds bleiben in der praktischen Wirkung minimal. Das Geld ist ausgegeben, die erhoffte Transformation findet nicht statt.
Was Deutschland wirklich braucht
Die Clusterpolitik ist nicht grundsätzlich falsch. Innovation braucht Brennpunkte, Forschung braucht Infrastruktur. Doch die aktuelle Praxis ist von Realitätsverweigerung geprägt. Politische Narrative übersehen die realen Risiken: Es können Jahrzehnte vergehen, bevor neue Wertschöpfung tatsächlich trägt – wenn sie es überhaupt tut.
Was funktionierenden Innovationsclustern zugrunde liegt, ist keine Zauberformel aus Fördermillionen und Forschungsgebäuden. Es ist mühsame Beziehungsarbeit. Silicon Valley brauchte dreißig Jahre, Bangalore hundert, um das zu entwickeln, was Forscher heute als notwendige Voraussetzung für nachhaltige Innovation identifizieren: tiefes, sektorübergreifendes Vertrauen. Vertrauen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Zwischen Staat und Zivilgesellschaft. Zwischen etablierten Unternehmen und Startups. Dieses Vertrauen entsteht nicht durch Absichtserklärungen, sondern durch jahrelange Zusammenarbeit in professionellen Verbänden, durch informelle Netzwerke, durch die Bereitschaft, auch über den unmittelbaren Transaktionshorizont hinaus zu denken.
Deutschland fehlt genau diese Geduld. Cluster werden gegründet, als handele es sich um Verwaltungsakte. Förderprogramme laufen nach drei, fünf Jahren aus. Erfolg wird an Investitionsvolumen gemessen, nicht an gewachsenen Kooperationsstrukturen. Die Frage, ob die richtigen Menschen mit den richtigen Kompetenzen – Synthesefähigkeit, Empathie, sektorübergreifende Erfahrung – vorhanden sind, wird selten gestellt. Stattdessen dominiert der Glaube: Wenn wir nur genug Geld in die richtige Infrastruktur stecken, kommt Innovation von selbst.
Deutschland braucht weniger Imagepflege, mehr ehrliche Analyse. Die Fragen, die gestellt werden müssen, lauten: Wie gelingt der breite Übergang, nicht nur der schmale Leuchtturm? Wer wird abgehängt, und was tun wir dagegen? Welche Sozial- und Bildungsstrukturen sind nötig für eine echte Transformation? Wie schützen wir Regionen vor wirtschaftlichem Ausbluten jenseits der Showcases?
Es braucht eine radikale Kehrtwende in der Erfolgsbilanzierung: Clusterpolitik muss kritisch und differenziert bewertet werden, deutschlandweit, nicht nur in Hochglanzbroschüren. Subventionen müssen an langfristige Wirkungs- und Beschäftigungskriterien gekoppelt werden. KMU und breite Wertschöpfungsketten müssen eingebunden werden, nicht nur Forschungseliten und Großkonzerne.
Und vor allem: Wir müssen aufhören, Flops zu verschweigen. Cluster- und Flop-Analysen gehören in den Kern strategischer Standortentwicklung, nicht in die Schublade. Nur wenn wir ehrlich benennen, was nicht funktioniert, können wir lernen.
Fazit: Schluss mit der Show
Die Erfolgsshow der deutschen Cluster- und digitalen Standortpolitik besteht mehrheitlich aus Inszenierung mit Einzelbeispielen. Die nachhaltige Breitenwirkung auf Arbeitsmarkt und Wertschöpfungsketten bleibt aus. Während Milliarden in Leuchttürme fließen, bleiben die Fundamente brüchig.
Deutschland kann sich Illusionen nicht mehr leisten. Die eigentliche Transformation hin zu produktiver, nachhaltiger neuer Wertschöpfung geschieht langsam, oft mit Rückschlägen. Showcases überdecken ungelöste Strukturprobleme – sie lösen sie nicht.
Es ist Zeit für Realismus statt Hochglanz. Für nachhaltige Breitenförderung statt Leuchtturm-Hype. Für ehrliche Fragen statt politischer Beschwichtigungen. Denn am Ende entscheidet nicht die Inszenierung über Deutschlands Zukunft – sondern die Fähigkeit, Strukturwandel tatsächlich zu gestalten, statt ihn nur zu behaupten.
Quellen / Weitere Informationen:
How to Make a Region Innovative
Neue Industriepolitik mit Clustern. Hokuspokus oder wohldurchdachtes Konzept?
Cluster- und Netzwerkevaluation. Aktuelle Beispiele aus der Praxis
Auswirkungen der Ansiedlung des Cyber Valley auf die Stadt Tübingen
Universität Heidelberg Successful With Three Applications for Clusters of Excellence

