Deutsche Unternehmen werden von einer kostspieligen Schauspieltruppe geführt: gut bezahlte Darsteller, die Management perfekt simulieren, aber niemals praktizieren. Je aufwendiger ihre Inszenierung – Titel, Dienstwagen, Berater-Choreografie – desto verheerender die Realität. Eine Demaskierung der Manager-Simulation, die ganze Branchen in den Abgrund führt.
Die deutsche Wirtschaft verliert trotz technologischer Expertise dramatisch an Wettbewerbsfähigkeit. Der Grund ist hausgemacht: Deutsche Unternehmen werden von Darstellern geführt, die Manager spielen, ohne je zu managen.
Von Goffman zur Totalinszenierung
Was Erving Goffman in „Wir alle spielen Theater“ als alltägliche Selbstdarstellung beschrieb, ist in deutschen Führungsetagen zur existenzbedrohenden Totalinszenierung mutiert. Während Goffmans Akteure zwischen „Vorderbühne“ und „Hinterbühne“ wechselten, kennen deutsche Manager nur noch die Performance – eine Hinterbühne für echte Entscheidungen existiert nicht mehr.
Die Schauspieltruppe im Chefsessel
Eine paradoxe Regel bestimmt dieses Theater: Je wohlklingender die Titel, je größer die Firmenwagen und je üppiger die Vergütung, desto geringer die tatsächliche Bereitschaft zu entscheiden. Diese Manager-Darsteller beherrschen ihr Handwerk perfekt – Management-Jargon, Körpersprache der Macht, endlose Meetings ohne Ergebnis. Die Kostümierung stimmt: maßgeschneiderte Anzüge, repräsentative Büros, prestigeträchtige Titel. Dahinter herrscht jedoch erschreckende Substanzlosigkeit. Sie inszenieren Entscheidungen, ohne zu entscheiden. Sie simulieren Verantwortung, ohne sie zu übernehmen.
Das System hat eine perverse Logik entwickelt: Es belohnt die besten Darsteller. Wer die überzeugendste Management-Simulation liefert, wird befördert. Wer echte Entscheidungen trifft und Risiken eingeht, gefährdet seine Karriere. So selektiert das System systematisch Schauspieler und sortiert echte Manager aus.
Das Resultat ist eine chronische Entscheidungsparalyse: Deutsche Unternehmen leiden unter signifikant längeren Entscheidungsprozessen als international üblich. Endlose Abstimmungsschleifen entstehen, weil niemand die Verantwortung übernehmen will.
Entscheidungen werden so lange vertagt, bis die „perfekten“ Bedingungen herrschen – ein Zustand, der naturgemäß nie eintritt. In der produzierenden Industrie führt diese Lähmung direkt zu steigenden Kosten, verlängerten Lieferzeiten und ineffizienten Abläufen. Während asiatische Konkurrenten binnen Wochen neue Produktlinien etablieren, werden deutsche Unternehmen durch ihre eigene Bedächtigkeit abgehängt.
Externe Regisseure: Berater und Staat übernehmen das Drehbuch
Wenn die Führungs-Simulanten schließlich an die Grenzen ihrer Schauspielerei stoßen, greifen sie zu einem perfiden Trick: Sie lagern das Drehbuch aus. McKinsey, BCG und Konsorten werden als externe Regisseure engagiert, um orientierungslosen Manager-Darstellern ihre nächsten Szenen zu schreiben. Die Berater liefern neue Textbausteine, frische Präsentationsfolien und externe Legitimation für organisierte Ratlosigkeit.
Doch das ist nur die erste Stufe der Entscheidungsabgabe. Deutsche Manager haben eine noch elegantere Lösung perfektioniert: Sie machen den Staat zum Co-Regisseur ihrer Inszenierung. Bei jedem größeren Problem wird reflexhaft nach staatlicher Hilfe gerufen – Subventionen, Bürgschaften, Rettungspakete. Gleichzeitig werden über Lobbyismus die politischen Rahmenbedingungen so beeinflusst, dass eigene Entscheidungen überflüssig werden. Besonders zynisch: Diese Manager übernehmen bereitwillig staatliche Programme, selbst wenn sie die eigene Wettbewerbsfähigkeit unterminieren – Hauptsache, es fließen Subventionen. Klimapolitische Vorgaben oder Digitalisierungsprogramme werden nicht strategisch durchdacht, sondern als willkommene Geldquellen abgegriffen.
So entsteht ein Dreieck der totalen Verantwortungslosigkeit: Berater schreiben die Strategie, der Staat finanziert die Show, und die Manager kassieren für die Performance. Die Entscheidungsgewalt wandert vollständig an externe Akteure, während die eigentlichen Führungskräfte zu gut bezahlten Moderatoren ihrer eigenen Bedeutungslosigkeit werden.
Der finale Vorhang: Stellenabbau als Schlussbild
Wenn schließlich auch die teuersten Berater-Regisseure und staatlichen Co-Produzenten scheitern, folgt das dramatische Schlussbild: Stellenabbau und Produktionsverlagerung. Stellenabbau ist der ultimative Beweis für das Scheitern der Manager-Darsteller – statt ihre Unfähigkeit zu korrigieren, lassen sie die Belegschaft für ihre misslungene Performance büßen. Die echten Verursacher der Krise kassieren weiterhin ihre Gagen für schlechtes Theater.
Diese Strategie ist selbstverstärkend: Jede neue Inszenierung schwächt das Unternehmen weiter, vernichtet institutionelles Wissen und Innovationspotential, während die Darsteller bereits ihre nächsten Rollen in anderen Unternehmen proben.
Das Ende der Vorstellung
Deutsche Unternehmen leiden unter einer selbstgeschaffenen Schicht gut bezahlter Bühnendarsteller, die meinen, Management sei eine Rolle statt einer Aufgabe. Eine nachhaltige Wende braucht das Ende dieser Theateraufführung: Schluss mit der Kostümierung, hin zu echter Verantwortung. Weniger Inszenierung, mehr Entscheidungen. Weniger Simulation, mehr Substanz.
Unternehmen müssen ihre Führungskräfte daran messen, was sie bewirken, nicht daran, wie überzeugend sie ihre Rolle spielen. Management ist keine Vorstellung, sondern harte Arbeit. Nur wer das versteht, kann deutsche Unternehmen aus ihrer selbstgeschaffenen Schauspieler-Krise führen.
Quellen:
Mut ist keine Option: Warum in deutschen Firmen keiner mehr vorangeht
300 Stunden Arbeitszeit futsch: Warum deutsche Büroangestellte so viel Zeit verschwenden
Fehlerkultur: Einsicht ist da, doch es fehlt an Mut und Maßnahmen
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Die zeitlose Kunst der Führung – Peter F. Druckers fünf Säulen der Effektivität
„Thinking about Management“ von Ted Levitt