Die deutsche Wirtschaft schwächelt. Während in den meisten anderen Ländern die Wirtschaft wächst, tritt sie hierzulande auf der Stelle. Für diesen Zustand wird von führenden Wirtschaftsvertretern u.a. die Energiepolitik der aktuellen Regierung verantwortlich gemacht. Das ist jedoch bestenfalls nur die halbe Wahrheit. Die in der Tat eher „suboptimale“ Performance der Regierung hat die Schwächen des Geschäftsmodells der deutschen Wirtschaft erst richtig ans Licht gebracht. Diese traten in den vergangenen Jahren immer deutlicher zutage.
Da wäre als erstes der „Diesel-Skandal“ zu nennen. Bis dahin galt die deutsche Automobilindustrie als integer. Hohe Preise wurden durch hohe Qualität „Made in Germany“ gerechtfertigt. Der Vormarsch der Elektroautos ließ sich damit indes nicht aufhalten. Tesla, von den deutschen Autobossen einstmals belächelt, lässt die deutschen Premium-Hersteller alt aussehen. Diese flüchten sich nun, wie Mercedes-Benz, in das Luxus-Segment. Eine Strategie mit überschaubaren Erfolgschancen[1]Die hochriskante Luxus-Strategie von Mercedes-Benz[2]Die hochriskante Luxus-Strategie von Mercedes-Benz #2[3]Vgl. dazu die Lage bei VW: Manager und Gewerkschaftsvertreter einigen sich bei Volkswagen auf Kostensenkungen über 10 Milliarden Euro[4]Vgl. dazu: Deutsche Autoindustrie vor existentieller Krise. Auf dem Massenmarkt kann man nicht mehr bestehen, also versucht man sein Glück im Hochpreissegment. Bereits vor Jahren stellte Helmut Becker fest:
Deutlich sinkende Ertragsmargen im Kerngeschäft bei allen OEMs, auch bei den sogenannten Nobelmarken, haben teilweise zu spektakulären Kostensenkungsprogrammen mit massivem Belegschaftsabbau geführt. Im Volumensegment machen einige tradierte Autohersteller bereits seit mehreren Jahren im operativen Geschäft teilweise sogar noch zunehmende Verluste. Und rücken langsam, aber sicher in die Nähe eines Marktaustritts, jedenfalls wenn die Mutterkonzerne, selbst in Not, Quersubventionen nicht mehr durchhalten wollen[5]“Ausgebremst. Wie die Automobilindustrie Deutschland in die Krise fährt” von Helmut Becker.
Zu dem Zeitpunkt war von Tesla noch keine Rede.
Allzu lange hat die Politik die Automobilindustrie in ihrem Glauben an die eigene Überlegenheit und Unabkömmlichkeit im Sinne von „Weiter so!“ bestärkt und damit die Pfadabhängigkeit des deutschen Geschäftsmodells bzw. Wirtschaftsstils vertieft.
Die Branche hat sich zu lange auf ihre Sonderstellung und die guten Beziehungen zur Politik verlassen und dabei aus dem Blick verloren, dass über die Zukunft der Branche nicht in Deutschland und nicht einmal in Europa entschieden wird. Über die Jahre hat die Politik, sowohl auf Landes- wie auch auf Bundesebene, der Automobilindustrie eine Art Bestandsschutz gewährt. Dass dies für die Innvovationsfähigkeit einer Branche auf Dauer nicht von Vorteil ist, bedarf eigentlich kaum einer Erwähnung[6]Das Dilemma der deutschen Automobilindustrie.
Nicht viel besser sieht es bei der Chemieindustrie aus. Die führenden Unternehmen Bayer und BASF haben sich in den letzten Jahren durch Managementfehler selbst entzaubert[7]Vorzeichen des Niedergangs? Die bedrohliche Notlage zweier deutscher Industrie-Riesen[8]Aktien-News: Düstere Lage der Bayer AG – Historischer Tiefststand nach Studienflop und Milliardenklage — Pharma- und Agrar-Sparte erleiden herbe Tiefschläge, wenngleich der Anteil der hohen Energiepreise an der aktuellen Misere nicht zu übersehen ist [9]„Deutschland und besonders die energieintensive Chemieindustrie haben jahrelang vom billigen Gas aus Russland profitiert. Von den enormen Preissteigerungen im vergangenen Jahr hat sich der … Continue reading. Bernd Ziesemer bescheinigt BASF zehn verlorene Jahre. Der Vorstand reagiert auf die Entwicklung einfallslos:
Dem Vorstand fällt deshalb nur eines ein, um das Allerschlimmste zu verhindern: sparen, sparen, sparen. Konkret heißt das: Jobs abbauen, Anlagen schließen, die Lagerbestände reduzieren, so wenig wie möglich Bargeld vorhalten, Investitionen herunterfahren. Und das alles vor allem am Stammsitz des Unternehmens am Rhein. Strategische Kurskorrekturen? Keine. Neue Ideen? Ebenfalls keine[10]Der ungebremste Fall von BASF[11]Vgl. dazu im weiteren Sinne: Die globale Unternehmensstrategie der BASF und ihre Einflußfaktoren.
Wer wissen möchte, wie man einen Chemiekonzern regelrecht vor die Wand fährt: Der Untergang von Hoechst.
Ein weiteres Dilemma der deutschen Wirtschaft ist die „Premium-Falle“. Viel zu lang hat man sich bei Miele & Co. darauf verlassen, dass „Made in Germany“ als Rechtfertigung für hohe Preise ausreicht. So ziemlich das einzige, was bei den deutschen Premium-Herstellern mittlerweile noch Premium ist, ist der Preis. Diese Erfahrung macht neben Miele derzeit auch der Mitbewerber Bosch-Siemens-Hausgeräte, der für immerhin zwei Drittel des Gewinns des Bosch-Gesamtkonzerns verantwortlich ist[12]Warum der Hausgeräteriese BSH den Anschluss verliert.
Die Zukunft der Automobilzulieferer ist ebenfalls alles andere als rosig. Bosch und ZF haben über die Jahre eine Mitarbeiterzahl erreicht, die künftig nicht mehr zu halten sein wird, sofern sie auf Dauer überhaupt noch eine Überlebenschance haben.
Das Beispiel Siemens Energy zeigt überdies, dass Großkonzerne hierzulande ein großes Geschick darin haben, die Allgemeinheit am Ausgleich überwiegend hausgemachter Probleme zu beteiligten[13]Staat bürgt für Siemens Energy in Milliardenhöhe.
Weitgehend hängengelassen wird demgegenüber der so oft lobend erwähnte „Mittelstand“.
Das deutsche Wirtschaftsmodell ist darauf angewiesen, dass seine Leitbranchen funktionieren. Hierbei spielen Großkonzerne eine wichtige Rolle[14]Unternehmen wie Trumpf werden uns nicht retten[15]Deutsche Industrie: Auch digital “unkaputtbar” ?. Diese haben jedoch – gerade in Deutschland – die Angewohnheit, sich auf ihren Erfolgen auszuruhen und mithilfe der Politik dafür zu sorgen, dass die Geschäftsrisiken minimiert werden. Diese Strategie mag zu Zeiten der Deutschland AG noch halbwegs funktioniert haben; heutzutage ist damit kein Staat mehr zu machen.
Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt die Forschungslandschaft mit Fraunhofer & Co. Diese sind ebenfalls nicht für die Hervorbringung „Umwälzender Innovationen“ bekannt. Und was die häufig zu Recht kritisierten bürokratischen Hürden betrifft: Die Unternehmen, insbesondere die großen mittelständischen Unternehmen und die Großkonzerne, täten gut daran, bei ich selbst den Büroktratie-Abbau in Angriff zu nehmen.
Angesichts dieser Gemengelage wäre es gut, folgenden Rat zu beherzigen:
Eine Industriepolitik, die sich auf die Unterstützung ganz bestimmter Wirtschaftsaktivitäten konzentriert, wird dazu neigen, das zu begünstigen, was schon da ist und was man kennt: Menschen oder Wähler, die vor Konkurrenz geschützt werden wollen; Produkte, die es schon lange gibt, Innovationsprozesse, die sich sich schon anderswo durchgesetzt haben. Zukunftsorientierte Ressourcen sind für solches Drängen an die Subventionskrippe angesichts alternativer Verwendungsmöglichkeiten viel zu knapp (Herbert Giersch, in: Marktwirtschaftliche Perspektiven für Europa)
In Grunde befindet sich die Deutschen Wirtschaft in einem Innovators Dilemma[16]The Innovator’s Dilemma.
References