Gute Unternehmen brauchen keine PR-Abteilung – so lautet eine provokante These. Doch was zunächst radikal klingt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als nüchterne Analyse einer systemischen Verzerrung: Wenn alle Unternehmen kommunizieren, außergewöhnlich zu sein, kann statistisch niemand außergewöhnlich sein. Dieser Beitrag untersucht, warum intensive PR oft ein Warnsignal ist, welche Rolle die Normalverteilung spielt und warum besonders Familienunternehmen in die Falle der Selbstinszenierung tappen. Am Ende steht eine unbequeme Wahrheit über Vergänglichkeit, Wert und die menschliche Unfähigkeit, Gewöhnlichkeit zu akzeptieren.
Die These: Substanz statt Schein
Die Ausgangsfrage ist einfach: Wozu brauchen gute Unternehmen eine PR-Abteilung? Wenn Produkte überzeugen, Preise fair sind und der Service verlässlich funktioniert, sollte die Kommunikation sich von selbst ergeben – durch zufriedene Kunden, durch Mundpropaganda, durch Fakten statt durch Inszenierung. PR, so die Annahme, wird erst dann notwendig, wenn etwas kompensiert werden muss: mangelnde Qualität, organisatorische Defizite oder die schlichte Tatsache, dass ein Unternehmen gewöhnlich ist und diese Gewöhnlichkeit nicht akzeptieren kann.
Diese Sichtweise ist radikal, weil sie PR als sekundär einstuft – nicht als strategisches Instrument erfolgreicher Unternehmen, sondern als Hilfsmittel für solche mit strukturellen Problemen. Oder, noch zugespitzter: als Werkzeug zur Verschleierung der Realität.
Das Aldi-Missverständnis
Auf den ersten Blick scheint Aldi die These zu bestätigen: minimalistisches Auftreten, keine aufwendigen Kampagnen, Kommunikation hauptsächlich über Preise und Produktverfügbarkeit. Ein Erfolgsmodell ohne klassische PR. Doch der zweite Blick zeigt: Aldi betreibt sehr wohl strategische Kommunikation – nur eben eine funktionale, reduzierte. Die Entscheidung, durch niedrige Preise zu kommunizieren statt durch Hochglanzbroschüren, ist selbst eine kommunikative Strategie. Sie wurde bewusst getroffen und konsequent umgesetzt. Das ist nicht „keine PR“, sondern hocheffiziente PR. Die beste PR ist die, die man nicht als solche wahrnimmt.
Auch Steve Jobs, oft als Meister der Inszenierung betrachtet, folgte diesem Prinzip: Seine Keynotes waren Produktpräsentationen, keine Ego-Shows. Der Fokus lag auf „was kann das Gerät“, nicht auf „wie großartig bin ich“. Die Inszenierung diente dem Produkt, nicht der Person. Theater im Dienst der Sache. Maßvoll, funktional, produktzentriert.
Die Grenze liegt dort, wo Kommunikation aufhört, Werkzeug zu sein, und anfängt, Selbstzweck zu werden.
Zwei Arten problematischer PR
Wenn PR problematisch wird, folgt sie meist einem von zwei Mustern:
- Erstens: Die Ego-PR für Führungspersonen. Der CEO wird zur Marke stilisiert, die Organisation tritt hinter die Person zurück. Wenn die Person scheitert, reißt sie das Unternehmen mit. Thomas Middelhoff ist das deutsche Paradebeispiel: „Media-Mogul“, „Visionär der New Economy“, omnipräsent in Medien und Society. Die Person wurde größer als das Unternehmen, die Vision wichtiger als das operative Geschäft. Als es kippte, war der Fall tiefer, weil die Diskrepanz zwischen Außendarstellung und Realität größer war.
- Zweitens: PR als Nebelkerze bei strukturellen Problemen. Hochglanz-Nachhaltigkeitsberichte während Ausbeutung in der Lieferkette. „Great Place to Work“-Awards während massiver interner Probleme. Innovationskommunikation statt tatsächlicher Produktentwicklung. Die Pressemitteilung als Ersatz für die Lösung.
In beiden Fällen entsteht eine toxische Spirale: Das Unternehmen wird Gefangener seines eigenen Narrativs. Ein Zurückrudern würde Vertrauensverlust bedeuten – also wird weiter eskaliert, bis der Kollaps unvermeidlich wird.
Die Normalverteilung als Korrektiv
Der entscheidende Punkt ist statistischer Natur: Nicht jeder kann überdurchschnittlich sein. Wenn alle Unternehmen kommunizieren, sie seien Innovationsführer, beste Arbeitgeber, Nachhaltigkeitspioniere, kundenzentriert wie kein anderer, visionär und disruptiv – dann ist das mathematisch unmöglich. Die meisten sind per Definition durchschnittlich. Das ist keine Schande, sondern Statistik.
Sobald alle überdurchschnittlich kommunizieren, ist niemand mehr überdurchschnittlich. Die Konsequenzen sind gravierend: Begriffe wie „Innovation“, „Exzellenz“ und „Weltklasse“ werden bedeutungslos. Niemand glaubt mehr irgendwem. Es entsteht eine Eskalationsspirale – man muss noch mehr übertreiben, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Unternehmen verlieren den Kontakt zur Realität und glauben irgendwann ihre eigene Kommunikation.
Das Problem ist systemisch: Die Abnehmer der Kommunikation – Investoren, Kunden, Medien, Bewerber – haben selbst kein Interesse an statistischer Normalität. Jeder will in überdurchschnittliche Firmen investieren, bei überdurchschnittlichen Arbeitgebern arbeiten, überdurchschnittliche Produkte kaufen. Ehrliche, normalverteilte Kommunikation wird bestraft, Übertreibung wird belohnt – bis zum Kollaps.
Die PR-Typologie nach Lebenszyklus
Intensive PR lässt sich als diagnostisches Signal lesen, wenn man den Lebenszyklus des Unternehmens berücksichtigt:
- Bei jungen, nicht-etablierten Unternehmen ist PR ein Aufmerksamkeitsinstrument. Sie brauchen Sichtbarkeit, haben keinen Track-Record. PR fungiert als Brücke zwischen Gegenwart und potenzieller Zukunft. Das Risiko: Wer mit großen Versprechen startet, wird daran gemessen. Der Ausstieg aus der Erwartungsspirale wird unmöglich.
- Bei etablierten Unternehmen hingegen ist intensive PR ein Warnsignal. Warum muss ein arriviertes Unternehmen so viel kommunizieren? Die Antwort ist oft: weil die Substanz nicht mehr reicht oder weil Gewöhnlichkeit nicht akzeptiert wird. Die Kommunikation wird zum Frühwarnsignal des Niedergangs.
Beispiele: Ein Traditionskonzern plötzlich mit Digitaloffensive in allen Medien – oft Zeichen, dass man zurückliegt. „Great Place to Work“-Kampagnen – oft bei tatsächlichen Personalproblemen. Nachhaltigkeitsberichte im Übermaß – Greenwashing-Verdacht. Der CEO auf allen Konferenzen – operative Probleme?
PR wird umso intensiver, je größer die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit.
Das Familienunternehmen-Paradox
Besonders bei Familienunternehmen wird PR problematisch – und das ist paradox, denn gerade sie sollten anders sein. Sie müssten langfristig denken, Substanz über Show stellen, bescheiden bleiben. Stattdessen verfallen sie oft besonders intensiv der Selbstinszenierung.
Die Gründe liegen in der Struktur: Familie und Unternehmen verschmelzen zur Identität. Kritik am Unternehmen wird zu Kritik an der Person. Der Erfolg muss die eigene Existenz rechtfertigen. Dynastisches Denken erzeugt Druck: „Großvater hat das aufgebaut – ich muss würdig sein.“ Und vor allem: Es fehlt das externe Korrektiv. Kein Aufsichtsrat widerspricht, keine Aktionäre fordern Zahlen ein. Niemand sagt: „Du bist gewöhnlich, und das ist okay.“
Bei börsennotierten Unternehmen ist PR-Theater eingepreist. Alle wissen, dass CEOs eine Story verkaufen müssen, dass Quartalsberichte geschönt sind. Es ist ein Spiel mit bekannten Regeln. Beim Familienunternehmer, der das gleiche tut, wirkt es unangemessen, peinlich, verdächtig.
Besonders problematisch ist die Instrumentalisierung von „Purpose“: Der Familienunternehmer entdeckt plötzlich seine gesellschaftliche Verantwortung, die Mission beyond profit, das Erbe für künftige Generationen. Das kann echt sein – ist aber oft Legitimierung der eigenen Bedeutung, der Versuch, über Gewöhnlichkeit hinauszuwachsen. Stiftungen mit eigenem Namen, Bücher über Unternehmertum, Beiratsposten als „Elder Statesman“ – alles Legacy-Projekte gegen die Angst vor der Bedeutungslosigkeit.
Die verdrängte Vergänglichkeit
Die statistische Wahrheit über Familienunternehmen ist brutal: Nur etwa 30 Prozent schaffen den Übergang in die zweite Generation, nur 10 bis 15 Prozent überleben bis zur dritten, nur 3 bis 5 Prozent erreichen die vierte Generation. Die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel.
Während der Patriarch seine „Vision für Generationen“ kommuniziert, ist statistisch wahrscheinlich, dass das Unternehmen ihn nicht lange überlebt. Nachfolgestreitigkeiten, unfähige Erben, die Verweigerung des Loslassens, Marktveränderungen – die Todesursachen sind vielfältig. Und am Ende gilt: Kein Unternehmen ist unsterblich.
Je mehr PR, Selbstinszenierung und Missions-Gerede, desto größer die Fallhöhe, desto peinlicher das Scheitern, desto schwerer die Akzeptanz des Endes. PR ist letztlich ein Abwehrmechanismus gegen die Vergänglichkeit: Bei Jungen ist es das „Wir werden groß“ (meist nicht), bei Etablierten das „Wir bleiben relevant“ (meist nicht), bei Alten das „Unser Erbe lebt weiter“ (meist nicht).
Die Normalverteilung gilt nicht nur räumlich – die meisten sind durchschnittlich – sondern auch zeitlich: die meisten verschwinden. Auf lange Sicht alle.
Die menschliche Dimension
All das klingt hart, vielleicht sogar zynisch. Aber es ist nicht zynisch – es ist menschlich. Was wir beschreiben, ist keine moralische Schwäche oder bewusste Täuschungsabsicht, sondern grundlegende menschliche Bedürfnisse: Bedeutung finden in dem, was man tut. Spuren hinterlassen wollen. Nicht verschwinden wollen. Anerkennung für Lebensleistung.
Der Unternehmer, der jahrzehntelang gearbeitet, Arbeitsplätze geschaffen und eine Organisation aufgebaut hat, fragt sich irgendwann: „War das alles?“ Die kognitive Dissonanz ist unerträglich: „Ich führe ein erfolgreiches Unternehmen, aber statistisch bin ich wahrscheinlich durchschnittlich.“ Also muss er beweisen, dass er besonders ist. Natürlich greift er zur PR, zur Mission, zur Selbstdarstellung – nicht aus Bösartigkeit, sondern aus dem menschlichen Bedürfnis nach Sinn.
Die Spannung ist: Menschlich verständlich ist das Bedürfnis nach Bedeutung. Sachlich problematisch ist die Verzerrung der Realität. Organisatorisch schädlich ist die Ressourcenverschwendung. Beides ist wahr.
Menschen mit Macht und Erfolg können strukturell nicht akzeptieren, durchschnittlich zu sein – und Familienunternehmen bieten keine institutionellen Bremsen gegen diese Selbstüberschätzung. Die meisten erfolgreichen Unternehmer waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort, fleißig und solide, aber nicht genial, von Umständen begünstigt – statistisch gesehen: normal. Aber das zuzugeben entwertet gefühlt die eigene Lebensleistung, widerspricht dem Selbstbild, ist sozial nicht erwünscht. Also wird die Mission erfunden, die PR beauftragt, das Erbe konstruiert.
Was wirklich Bestand hat
Wenn etwas wirklich von Wert ist, dann hat es Bestand – weit über die Lebensdauer einer Person oder Organisation hinaus. Die wertvollsten Beiträge sind oft die, die sich vom Urheber lösen: Eine Innovation wird zum Standard, niemand erinnert sich mehr, wer sie erfand. Ein Produkt wird selbstverständlich, die Firma dahinter wird vergessen. Ein Geschäftsmodell wird kopiert, der Pionier verschwindet.
Steve Jobs formulierte diese Einsicht in bemerkenswerter Klarheit. In einem Interview beschrieb er seine Arbeit als sedimentäre Gesteinsschichten: Man trägt eine kleine Schicht bei, um den Berg höher zu machen, aber niemand an der Oberfläche wird diese Schicht sehen können. Die Menschen werden darauf stehen, aber sie wird unsichtbar sein – nur von einem seltenen Geologen gewürdigt. Jobs sagte explizit: „Apple II ist jetzt obsolet, Apple I war vor vielen Jahren obsolet. Der Macintosh steht kurz davor, in den nächsten Jahren obsolet zu werden. Das ist kein Bereich, in dem man etwas schreibt, das 200 Jahre Bestand hat. Das ist ein Bereich, in dem die eigene Arbeit in 10 Jahren obsolet ist.“
Der wahre Wert liegt vielleicht gerade darin, dass er nicht mehr zurechenbar ist.
Wenn wirklicher Wert Bestand hat, aber sich vom Schöpfer löst, dann ist Selbstinszenierung nicht nur unnötig, sondern kontraproduktiv. PR bindet den Wert an die Person oder Organisation. Aber echter Wert transzendiert seine Quelle. Je mehr jemand sich selbst in den Vordergrund stellt, desto weniger universal wird der Wert.
Das wäre die ultimative Bescheidenheit: Wenn das, was ich schaffe, wirklich wertvoll ist, wird es mich überleben – aber nicht mit meinem Namen verbunden. Wenn es meinen Namen braucht, um zu überleben, war es nicht wirklich wertvoll.
Fazit: Die Grenze der Legitimität
PR widerspricht wertvoller Arbeit nicht grundsätzlich – aber sie sollte maßvoll verwendet werden und nicht der Glorifizierung des Unternehmens oder der handelnden Personen dienen. Die Grenze liegt dort, wo Kommunikation aufhört, Werkzeug zu sein, und anfängt, Selbstzweck zu werden.
Legitime, maßvolle PR kommuniziert Produkte und Leistungen, schafft Verfügbarkeit von Information, dient dem Verständnis, ist faktisch statt emotional. Produktankündigungen, Preisinformation, technische Spezifikationen.
Problematische PR glorifiziert Personen oder Organisationen, verschleiert Schwächen, schafft ein Bild jenseits der Realität, ist visionär ohne Substanz. CEO-Persönlichkeitsprofile, Missions-Statements, Transformations-Narrative.
Die einzig konsistente Haltung wäre vielleicht: Einfach machen. Arbeiten. Schweigen. Und die Ergebnisse sprechen lassen. Aber genau diese Bescheidenheit ist psychologisch fast unmöglich für Menschen, die ihr Leben in ein Unternehmen investiert haben.
Am Ende bleibt eine nüchterne Wahrheit: Die meisten Unternehmen sind durchschnittlich. Die meisten werden verschwinden – auf lange Sicht alle. Das ist keine Tragödie, sondern normal. Und das ist menschlich schwer zu akzeptieren, aber sachlich die Wahrheit.

