Dr. Harald Wixforth

Die Bankgeschichte wird in den letzten Jahren wieder häufiger zu Rate gezogen, nicht zuletzt auch wegen der aktuellen Entwicklung im Bereich der digitalen Währungen, allen voran Bitcoin. Unmittelbar nach Ausbruch der Finanzkrise 2007/2008 wurde der Vergleich mit den Jahren 1929/30/31 gezogen, um daraus wichtige Erkenntnisse für die Lagebeurteilung zu gewinnen. Bestimmte Muster wiederholen sich; wenngleich in anderem Gewand. Das Banking befindet sich seit dem Aufkommen des Internet und neuer Mitbewerber in einem tiefgreifenden strukturellen Wandel, der historische Ausmaße annimmt. Im Gespräch erläutert der renommierte Wirtschaftshistoriker Dr. Harald Wixforth (Foto), wie die aktuellen Ereignisse aus historischer Sicht eingeordnet werden können, welche Parallelen zu vergangenen Zeiten sich erkennen lassen, inwieweit die Forschung zu einem besseren Banking beitragen kann und warum die Banker wieder zu Bankiers werden sollten. Zu den wichtigsten Veröffentlichungen von Harald Wixforth zählen Banken und Schwerindustrie in der Weimarer RepublikDie Dresdner Bank im Dritten Reich, und Strukturwandel und Internationalisierung im Bankwesen seit den 1950er Jahren.

  • Herr Dr. Wixforth, was macht die Bankgeschichte für Sie als Untersuchungs- und Forschungsgegenstand so interessant?

Gerade die letzte Bankenkrise hat gezeigt, dass die genaue Kenntnis der Geschichte von Finanzmärkten und Finanzinstitutionen und ihrer Entwicklung helfen kann, Fehlentwicklungen auf den Märkten richtig einzuschätzen bzw. unter Umständen sogar rechtzeitig Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Allerdings ist einzuräumen, dass vor allem in Krisenzeiten die Erfahrungen aus der Vergangenheit bemüht werden, ist die Krise vorbei, lässt das Interesse meistens nach.

  • In den letzten Jahren wurde  – überwiegend mit Blick auf das Investmentbanking – häufig auf die Unterschiede zwischen dem angelsächsischen und dem kontinentaleuropäischen Banking verwiesen – Lässt sich das bankhistorisch belegen?

Das lässt sich seit der Industrialisierung belegen. In England hielt man den Typ der kontinentaleuropäischen Universalbank für Unsinn, hier setzte man auf ein Trennbankensystem mit Spezialinstituten, auf dem Kontinent sollte dagegen eine große, heute systemrelevante Bank, alle Kundensegmente bedienen und alle Bankgeschäfte betreiben.

  • Der Bankier alter Schule ist seit Jahrzehnten auf dem Rückzug – die Zahl der Privatbanken hat gerade in den letzten Jahren – vor allem in der Schweiz – deutlich abgenommen. Ist der Privatbankier, sind Privatbanken noch zeitgemäß?

Fraglos haben die Privatbankiers nicht nur in der Schweiz, sondern auch in der Bundesrepublik einen erheblichen Bedeutungsverlust erlitten. Nicht nur für Kölner geradezu undenkbar, dass eines der ältesten und größten Privatbankhäuser Deutschlands, Sal. Oppenheim, nicht mehr existiert.  Dennoch bieten sich für die Privatbankiers vielfältige Nischen auf dem Finanzmarkt, die sie nützen müssen und können. Die Palette reicht vom Asset Management bis hin zu maßgeschneiderten Finanzlösungen und Krediten für Großinvestoren. Einige Privatbankhäuser, etwa M.M. Warburg, sind dabei ja auch durchaus erfolgreich.

  • Die Banken sollen sich nach Ansicht vieler Vertreter der Fintech-Szene in Technologieunternehmen wandeln. An die Stelle der Bankkaufleute treten die Softwareentwickler. Der Beruf des Bankkaufmanns hat an Attraktivität stark verloren. Vorboten bzw. Symptome eines tiefgreifenden Strukturwandels – gibt es dazu Parallelen in der Bankgeschichte?

Banken, die sich erfolgreich am Markt behaupten wollten, mussten sich immer wieder neuen Herausforderungen stellen. Heute gibt es quasi keinen Wechselverkehr mehr, was bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts einen Großteil des Massengeschäfts ausmachte. Statt dessen ist es für uns selbstverständlich geworden, dass wir andere Geldsurrogate benutzen, etwa die Kreditkarte etc. Die Welt des Geldes hat sich in den letzten 200 Jahren immer verändert, Finanzintermediäre müssen sich darauf einstellen und rechtzeitig die richtigen Antworten finden.

  • Derzeit schließen die Banken  – allen voran die Sparkassen und Genossenschaftsbanken – Filialen im großen Stil – müssen wir uns von den Banken langsam verabschieden – haben sie ihre historische Funktion erfüllt?

In den 1960er und 1970er Jahren wurden von den Kreditinstitute bei ihrem Zug in die Fläche enorm viele Filialen eröffnet, um möglichst nah am Kunden zu sein. Da gab es sicherlich Übertreibungen, die heute korrigiert werden. Andererseits werden sich kleine Institute mit einem hohen Kostenblock sicherlich nicht mehr am Markt behaupten können, Weitere Fusionen sind vorprogrammiert. Ob sich das online-Banking tatsächlich flächendeckend durchsetzt, wage ich aber noch zu bezweifeln.

  • Vor einigen Jahren gab es, was die Aufarbeitung der Bankgeschichte während der NS-Zeit betrifft, eine kleine Sonderkonjunktur. Ist der Forschungsbedarf inzwischen gedeckt bzw. gibt es keine Lücken mehr zu schließen?

Die großen Institute habe alle ihre umfangreichen Kommissionsberichte vorgelegt. Allerdings gibt es noch erhebliche Desiderate zur Rolle de öffentlichen Banken und der Sparkassen während des NS-Regimes, welche von der Forschung zu decken sind. Auch die Verstrickung von Bankiers mit dem NS-Regime, ihre Nähe zu seinen Entscheidungsträgern und ihre Beteiligung an dessen Verbrechen ist noch eingehend zu untersuchen.

  • Von George Santayana stammt der Satz: „Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen“. Die Banken scheinen stattdessen von dem Spruch „Diesmal ist alles anders“ geleitet zu sein. Täuscht der Eindruck?

Erstaunlicher Weise machen Banken auch heute Fehler, die sie bei der großen Bankenkrise von 1931 auch gemacht haben. Die Ausarbeitungen zur Bankenenquete von 1933, in denen diese Fehler analysiert wurden, lesen sich heute wie eine Kopie der Diskussionen über die aktuelle Bankenregulierung. Moniert wird das zu geringe Eigenkapital, die zu große Betonung einer Geschäftssparten, das fehlende Risikomanagement. Man könnte also glauben, die Banken hätten 80J Jahre später nichts gelernt. Vielleicht handelt es sich aber auch um einen Systemfehler im Finanzwesen, das wäre allerdings auf lange Sicht alarmierend, da dann die nächste Finanzkrise vorprogrammiert ist.

  • Kann die bankhistorische Forschung einen Beitrag zu einem besseren Banking leisten? 

Die Bankengeschichte kann Hilfestellung leisten, um komplexe Entwicklungslinien auf den Finanzmärkten zu verstehen. Konkrete Hinweise, wer welchen Kredit erhalten soll, kann sie dem Bankier natürlich nicht liefern. Aber es fällt auf, dass selbst renommierte Ökonomen vor kurzem im Kontext der aktuellen bitcoin Debatte mehrfach die Entwicklungen in der Vergangenheit bemühten, um vor den Gefahren artifizieller Währungen zu warnen.

  • Es fällt auf, dass Banker sich in der öffentlichen Diskussion nur noch äußerst selten zu Wort melden – anders als noch Alfred Herrhausen oder Jürgen Ponto. Woran könnte das liegen?

Der Einfluss von Josef Ackermann in der politischen Arena war sicherlich sehr hoch, Wenn sie allerdings zu den politischen Entscheidungsträgern laufen müssen, um umfangreiche Finanzhilfen zu erbitten, wie Herr Schmidt von der Hypovereinsbank, oder sogar sich mit staatsanwaltlichen Untersuchungen konfrontiert sehen, wie Herr Nonnenmacher von der HSH-Nordbank, dann trägt das sicherlich nicht dazu bei, das Prestige der Bankiers in der Politik und Öffentlichkeit zu steigern.

  • Die Banken wie wir sie heute noch kennen, sind ein Produkt der Industrialisierung – heute bewegen wir uns auf die Digitalmoderne, auf die Datenökonomie zu. Große digitalen Plattformen besetzen die Schnittstelle zum Kunden, die Banken haben ihr Informationsmonopol verloren. Was bedeutet das für die Zukunft der Banken?

Die Banken werden unter Umständen ein neues Geschäftsmodell entwickeln müssen. Ich glaube, dass individuelle Finanzlösungen und ein effektiver Service für die Kunden nicht durch digitale intermediäre zu ersetzen ist. Man könnte es auf die Formel bringen, Banker müssen wieder Bankiers werden, und nicht die reinen Verkäufer von zum Teil zweifelhaften Finanzprodukten. Sie müssen sich wieder an den Bedürfnissen de Kunden orientieren, und nicht an der Höhe von Boni. Wird das berücksichtigt, dann haben Banken eine Zukunft.

  • Wo besteht Ihrer Ansicht nach – abgesehen von der Aufarbeitung der NS-Zeit – noch weiterer Forschungsbedarf?

Es gibt enorm viele Desiderate, die deutsche Bankengeschichte hinkt der angelsächsischen deutlich hinterher, die Palette reicht dabei von der Geschichte der großen öffentlichen Institute über die Sparkassenfinanzgruppe bis hin zu fast allen Aspekten des Bankgeschäfts während des Rheinischen Kapitalismus. Dazu müssten die Banken aber auch Einblick in ihre Quellen und Unterlagen aus den 1960er, 1970er und 1890er Jahren gewähren.

  • Dr. Wixforth, besten Dank für das Gespräch! 

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