Seltene Erden sind das unsichtbare Rückgrat der modernen Technologie – von Windrädern über E-Autos bis zu künstlicher Intelligenz. Doch die glänzende Fassade der grünen und digitalen Zukunft steht auf brüchigem Fundament: Sie ruht fast vollständig auf chinesischem Boden. Europas Abhängigkeit von diesen kritischen Rohstoffen ist keine abstrakte Zahl, sondern ein geopolitisches Risiko erster Ordnung.
Es gibt Begriffe, die mehr verbergen als sie enthüllen. „Seltene Erden“ ist einer davon. Die 17 Metalle dieser Gruppe sind in der Erdkruste gar nicht so selten – sie sind nur schwer zu fördern, ökologisch riskant zu verarbeiten und wirtschaftlich kaum profitabel, wenn man die wahren Kosten berücksichtigt. Genau hier hat China angesetzt – strategisch, langfristig, mit staatlicher Konsequenz.
Heute kontrolliert die Volksrepublik nicht nur rund 90 Prozent der weltweiten Verarbeitungskapazität, sondern liefert auch zwei Drittel der Rohstoffe, die Deutschland für seine Hochtechnologieindustrien benötigt. Für manche Elemente wie Neodym oder Praseodym, die in Permanentmagneten stecken, liegt der Anteil sogar bei nahezu 100 Prozent. Europa als Ganzes steht kaum besser da: 46 Prozent der Einfuhren stammen direkt aus China, bei manchen Materialien ist es de facto alles.
Diese Abhängigkeit ist kein Randthema der Rohstoffpolitik, sondern ein strategischer Hebel in der Weltpolitik. Während Europa versucht, mit dem Critical Raw Materials Act seine Lieferketten zu diversifizieren, hat China längst begonnen, seine Macht über die Materialflüsse gezielt einzusetzen – durch Exportbeschränkungen, Lizenzauflagen oder schlicht durch Preispolitik.
Das Paradox der grünen Revolution
Die Ironie ist bitter: Die europäische Energiewende, die Digitalisierung und der Ausbau der KI-Infrastruktur – all das, was als Weg zur Souveränität und Nachhaltigkeit gedacht war – hängt an einem seidenen Faden chinesischer Lieferketten. Die gleiche Logik, die uns beim russischen Gas blind machte, wiederholt sich nun im elektromagnetischen Zeitalter. Nur dass diesmal nicht Moleküle, sondern Atome das Machtmittel sind.
Warum das Problem tiefer liegt
Rohstoffe lassen sich importieren, Abhängigkeiten nicht so leicht exportieren. Denn Europa fehlt nicht nur der Zugang zu den Vorkommen, sondern vor allem die Fähigkeit zur Verarbeitung und Raffinierung. Ohne die komplexe chemische Separation sind Seltene Erden nur wertloses Gestein. Dieses Know-how wurde über Jahrzehnte in China konzentriert – gefördert, subventioniert und vor allem: geschützt.
Selbst dort, wo europäische Minenprojekte anrollen, droht der nächste Engpass: fehlende Genehmigungen, Umweltwiderstände, fehlende Marktanreize. Die Zeit arbeitet gegen Europa – und für denjenigen, der den Export kontrolliert.
Die neue Materialmacht
In einer Ära, in der Daten als das „neue Öl“ gelten, sind seltene Erden das neue Kupfer – die Infrastrukturmetalle der Intelligenz. Ohne sie keine Sensoren, keine Chips, keine Elektromotoren, keine KI-Server. China versteht das. Europa hat es verstanden – aber noch nicht umgesetzt.
Deutschland fördert mittlerweile Diversifizierungsinitiativen, Rohstofffonds und Recyclingprojekte. Doch es ist, als würde man ein Haus sichern, während das Fundament schon Risse zeigt. Denn geopolitische Souveränität ist kein politisches Programm, sondern eine materielle Bedingung.
Fazit: Die unsichtbare Abhängigkeit
Die Abhängigkeit Europas von China bei seltenen Erden ist mehr als eine Frage der Rohstoffversorgung. Sie ist ein Spiegelbild unserer ökonomischen Naivität. Wir haben geglaubt, Wertschöpfung beginne beim Code – sie beginnt jedoch beim Erz.
Wenn Europa in der Ära der künstlichen Intelligenz bestehen will, muss es lernen, die materiellen Grundlagen der digitalen Welt wieder selbst in die Hand zu nehmen. Sonst bleibt der Traum der technologischen Souveränität – ein seltener Luxus, produziert in China.