Das Phänomen des „German overengineering“ ist ein zweischneidiges Schwert in der deutschen Industrielandschaft. Traditionell waren Präzision, Qualität und technische Perfektion Kernkompetenzen der deutschen Wirtschaft. Diese Tugenden führten zu langlebigen, zuverlässigen Produkten und verschafften deutschen Unternehmen jahrzehntelang einen Wettbewerbsvorsprung. Gründlichkeit und eine nahezu pedantische Detailorientierung galten als Markenzeichen deutscher Ingenieurskunst.

Jedoch beginnen diese vermeintlichen Stärken zunehmend zum Hindernis zu werden. Die übermäßige Fixierung auf Perfektion verlangsamt die Innovationsgeschwindigkeit merklich. Komplexe Entwicklungsprozesse treiben die Kosten in die Höhe und führen zu einer Inflexibilität, die in einer dynamischen, schnelllebigen Wirtschaftswelt zunehmend problematisch wird. Deutsche Unternehmen verlieren so den Anschluss an globale Märkte, die Geschwindigkeit und Anpassungsfähigkeit belohnen.

Die aktuellen industriellen Herausforderungen Deutschlands sind vielfältig: Ein eklatanter Digitalisierungsrückstand, eine zögerliche Anpassungsfähigkeit an globale Markttrends, eine erdrückende Regulierungsdichte, ein sich verschärfender Fachkräftemangel und eine ausgeprägte Investitionszurückhaltung prägen die Situation. Das „Overengineering“ ist dabei nur ein Symptom, nicht die Ursache der Probleme.

Tiefer liegende strukturelle Herausforderungen bestimmen das industrielle Schicksal Deutschlands. Eine mangelnde Digitalisierungsstrategie, zu geringe Risikobereitschaft, lähmende bürokratische Hemmnisse und eine zu langsame Anpassung an globale Technologietrends untergraben die Wettbewerbsfähigkeit. Die einst gepriesene deutsche Ingenieurskunst droht in ihrer Starrheit zum Relikt einer vergangenen Wirtschaftsära zu werden.

Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, die gesamte industrielle Misere allein auf das Overengineering zu reduzieren. Vielmehr braucht es einen grundlegenden Mentalitätswechsel: Flexibilität statt Perfektion, Geschwindigkeit statt Überarbeitung, Innovation statt Bewahrung.

Ein besonders gutes Beispiel für die negativen Aspekte des German Overengineering ist die Automobilindustrie, und hier vor allem die sog. Premiumhersteller. So haben die Autos von BMW, Mercedes, Audi und Porsche bei den jüngeren Chinesen stark an Anziehungskraft verloren[1]vgl. dazu: https://x.com/ChristophBautz/status/1851648627430617381.

Während traditionell deutsche Marken lange Zeit als Synonym für Qualität und Ingenieurskunst galten, sehen junge chinesische Konsumenten dies heute völlig anders. Für sie repräsentieren deutsche Autos zunehmend die Vorlieben ihrer Elterngeneration – ein Auslaufmodell technologischer Konzeption.

Chinesische Automobilhersteller haben die Zeichen der Zeit erkannt und entwickeln Fahrzeuge, die genau das bieten, was junge Kunden heute erwarten: hochintegrierte Technologie, nahtlose Vernetzung und eine nutzerzentrierte Designphilosophie. Was deutsche Hersteller noch als Premium vermarkten, gilt in China längst als Standard. Marken wie NIO, BYD und Xpeng definieren Mobilität neu – mit intuitiveren Softwarelösungen, fortschrittlicher Elektromobilität und einer Geschwindigkeit in der Produktentwicklung, die deutsche Ingenieure noch vor wenigen Jahren für unmöglich gehalten hätten. Hinzu kommt, dass die Autos aus chinesischer Produktion – auch im Premium- bzw. Luxus-Segment – deutlich günstiger sind. Beispielhaft dafür ist der Xiaomi SU7[2]Xiaomi SU7 | Was kann der Sportwagen des Smartphone-Herstellers? | Erste Fahrt mit Thomas Geiger.

Das klassische deutsche Overengineering, einst Garant für Präzision und Zuverlässigkeit, erweist sich zunehmend als Bremsklotz. Während deutsche Entwickler noch mechanische Perfektion zelebrierten, haben chinesische Hersteller längst begriffen, dass es heute um Erlebnis, Vernetzung und Nutzerfreundlichkeit geht[3]vgl. dazu: https://x.com/henhman/status/1850998083380715860[4]vgl. dazu: Peter Mertens, Ex Leiter F&E Audi AG: “Wir haben geschlafen (…) es wird blutig!”.

Für die junge chinesische Generation zählen nicht mehr Markenherkunft und mechanische Komplexität, sondern Technologieinnovation und Alltagstauglichkeit.

Die Botschaft ist eindeutig: Deutsche Automobilhersteller müssen ihre Innovationsstrategien grundlegend überdenken, wenn sie nicht den Anschluss an einen sich rasant verändernden globalen Mobilitätsmarkt verlieren wollen. Das Zeitalter des mechanischen Überengineerings ist vorbei – jetzt ist die Zeit der softwaregetriebenen, nutzerorientierten Mobilitätslösungen.