Deutsche IT-Beratungsfirmen leben gefährlich: Vollständig abhängig vom heimischen Markt, ohne echte Produkte und mit austauschbaren Dienstleistungen stehen sie vor einem Scheideweg. Während SAP weltweit erfolgreich ist, kämpfen klassische IT-Dienstleister mit strukturellen Problemen – von oberflächlicher Expertise bis hin zu hohen Burnout-Raten. Ein Essay über eine Branche im Wandel.


Die deutsche IT-Beratungslandschaft gleicht einem Kartenhaus, das bei der ersten wirtschaftlichen Brise zu wanken beginnt. Während Softwarekonzerne wie SAP ihre Produkte erfolgreich in alle Welt exportieren und damit Milliardenumsätze erwirtschaften, hängen die klassischen deutschen IT-Beratungsfirmen nahezu vollständig am Tropf des heimischen Marktes. Diese einseitige Abhängigkeit offenbart fundamentale strukturelle Schwächen, die weit über konjunkturelle Schwankungen hinausgehen.

Das Bodyleasing-Dilemma

Im Kern betreiben die meisten deutschen IT-Dienstleister nichts anderes als hochqualifiziertes Bodyleasing. Sie verkaufen die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter zu Tagessätzen zwischen 950 und 1.800 Euro, ohne dabei eigene Produkte oder innovative Frameworks zu entwickeln. Diese Geschäftslogik macht sie nicht nur vollständig austauschbar, sondern auch extrem verwundbar gegenüber Budgetkürzungen ihrer Kunden.

Dabei verschleiert die Fokussierung auf scheinbare Expertise eine wesentlich pragmatischere Realität: Unternehmen holen IT-Berater oft nicht primär wegen ihres Fachwissens ins Haus, sondern weil diese außertariflich beschäftigt sind, keine geregelten Arbeitszeiten haben und nicht mit Betriebsrat oder Mitbestimmungsrechten kommen. Externe Berater lassen sich flexibel einsetzen, bei Bedarf schnell wieder entlassen und können im Fall des Scheiterns perfekt die Rolle des Sündenbocks übernehmen. Die hohen Tagessätze fungieren dabei nicht selten als eine Art Schmerzensgeld für diese strukturelle Benachteiligung und Risikoübernahme.

Anders als die wenigen deutschen Software-Unternehmen, die wie SAP internationale Märkte erobert haben, beschränken sich die klassischen IT-Beratungen auf den deutschen Mittelstand, Konzerne und die öffentliche Verwaltung. Sobald Unternehmen, Banken, Versicherungen oder Handelsketten ihre IT-Budgets zusammenstreichen, geraten diese Dienstleister sofort in existenzielle Nöte. Projekte werden verschoben oder gestoppt, und die vermeintlichen Experten stehen plötzlich ohne Auftrag da.

Die Illusion der Expertise

Besonders problematisch ist dabei das systematische Kompetenzdefizit, das durch die Arbeitsweise der Branche entsteht. IT-Berater werden ständig in neue Projekte mit völlig unterschiedlichen Anforderungen geschickt und dabei als Experten für Bereiche verkauft, in denen sie bestenfalls über Grundlagenwissen verfügen. Diese kontinuierliche Projektrotation verhindert den Aufbau echter, tiefgreifender Fachkompetenz.

Wie austauschbar IT-Berater tatsächlich sind, zeigt sich auch an der extrem hohen Fluktuation in der Branche. Berater wechseln regelmäßig von einer IT-Bude zur nächsten und gewöhnen sich dort binnen kürzester Zeit ein – ein klares Indiz dafür, dass überall ähnliche Bedingungen, Prozesse und Arbeitsweisen herrschen. Diese nahtlose Austauschbarkeit der Mitarbeiter führt die nach außen kommunizierte Einzigartigkeit und Mitarbeiterorientierung der Beratungshäuser vollends ad absurdum. Wenn ein Berater problemlos zwischen Konkurrenten wechseln kann, ohne Einarbeitungszeit oder kulturelle Anpassung zu benötigen, spricht das eine deutliche Sprache über die tatsächliche Standardisierung der Branche.

Ähnlich wie die großen Strategieberatungen betreiben auch IT- und Managementberatungen im Kern nichts anderes als professionelles Trend-Surfing. Das Geschäftsmodell beruht darauf, immer eine Seite weiter im Handbuch zu sein als der Kunde. Ob Digitalisierung, Agile Transformation, Cloud Migration oder neuerdings KI-Implementierung – die Berater eignen sich schnell das nötige Oberflächenwissen an, um als Experten auftreten zu können. Echte Durchdringung der Materie ist dabei nicht nur nicht erforderlich, sondern aufgrund der ständigen Themenwechsel auch kaum möglich.

Selbst nach Jahren oder Jahrzehnten im Geschäft bleibt das Wissen vieler Berater oberflächlich. Sie sammeln zwar ein breites Methodenspektrum, entwickeln aber selten die Expertise, die echte Innovation ermöglichen würde. Das berüchtigte „SAbvA“ – sicheres Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit – wird so zum inoffiziellen Leitmotiv einer ganzen Branche.

Das Ende einer Ära: Warum Trend-Surfing nicht mehr funktioniert

Die fortschreitende Verbreitung künstlicher Intelligenz wird diese strukturellen Probleme noch verschärfen und markiert gleichzeitig das Ende der Ära des erfolgreichen Trend-Surfings. KI-gestützte Systeme können bereits heute viele Routineaufgaben in der Datenanalyse, im Reporting und Systemmanagement automatisieren. Was IT-Berater bisher als ihre Kernkompetenz betrachteten, lässt sich zunehmend standardisieren und automatisieren.

Entscheidend ist jedoch: Die Zeit, in der es ausreichte, oberflächliches Wissen schnell zu akquirieren und als Expertise zu verkaufen, geht unwiderruflich zu Ende. Moderne Technologien wie KI, Cloud-native Architekturen oder Cybersecurity erfordern tiefgreifendes Verständnis und jahrelange Praxiserfahrung. Kunden merken zunehmend, wenn Berater nur das „Handbuch eine Seite weiter“ gelesen haben, aber keine echte Umsetzungskompetenz besitzen. Gleichzeitig haben Unternehmen durch KI-Tools und verbesserte interne Weiterbildung selbst Zugang zu Grundlagenwissen, das früher den Informationsvorsprung der Berater ausmachte.

Während die Branche weiterhin den „menschlichen Faktor“ und individuelle Problemlösungskompetenz betont, schrumpfen die tatsächlichen Leistungsunterschiede zwischen den Anbietern. Der Beratungsmarkt wird noch preisgetriebener, noch austauschbarer – und damit noch vulnerabler für Anbieter, die weiterhin auf oberflächliches Trend-Surfing setzen.

Burnout als Systemfehler

Die hohe Burnout-Rate unter IT-Beratern ist kein Zufall, sondern die logische Konsequenz dieses Systems. Studien zeigen, dass bis zu 73 Prozent der IT-Profis in Europa unter Stress oder Burnout leiden. Ständiger Projektwechsel, unklare Anforderungen, extremer Zeitdruck und die permanente Notwendigkeit, Expertise vorzutäuschen, die nicht vorhanden ist, führen zu psychischer und physischer Überlastung.

Paradoxerweise sind dabei viele IT-Beratungsfirmen in ihrer eigenen digitalen Ausstattung rückständig. Während sie Kunden bei der Modernisierung beraten, arbeiten sie intern oft mit veralteten Systemen und ineffizienten Prozessen. Diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität verstärkt die Frustration der Mitarbeiter zusätzlich.

Ein Ausweg aus der Sackgasse?

Die deutsche IT-Beratungsbranche steht vor einem Scheideweg. Entweder gelingt es den Unternehmen, sich grundlegend zu transformieren – durch echte Produktentwicklung, internationale Expansion oder radikale Spezialisierung – oder sie werden zunehmend zu Kostenfaktoren degradiert, die bei der ersten wirtschaftlichen Strukturkrise wegrationalisiert werden.

Die wenigen Erfolgsbeispiele wie das historische IDS Scheer mit seinem ARIS-Framework zeigen, dass Transformation möglich ist. Doch sie bleiben die Ausnahme in einer Branche, die sich zu lange auf das bequeme Bodyleasing-Geschäft verlassen hat.

Der deutsche IT-Dienstleistungsmarkt braucht dringend eine Neuerfindung. Solange er jedoch in seiner jetzigen Form verharrt – ohne echte Differenzierung, ohne internationale Ausrichtung und ohne nachhaltigen Kompetenzaufbau – wird er ein Spielball wirtschaftlicher Zyklen bleiben. Für eine Branche, die anderen Unternehmen digitale Transformation verkaufen will, ist das eine bitter ironische Situation.


Quellen:

Lünendonk®-Studie 2025 Der Markt für IT-Dienstleistungen in Deutschland

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