Jede höhere Form sozialer Organisation ist nur möglich, wenn Wissen institutionalisiert, das heißt, gleichsam aus dem mentalen ausgelagert und objektiviert wird. Ohne diese Investition von Wissen und seine Dauerpräsenz in Handlungssystemen und -geräten würden gesellschaftliche Gebilde auf einem sehr niedrigen Niveau der Werteproduktion verharren. Die Institutionalisierung von Wissen geschieht zunächst durch die Errichtung von Interaktionsnetzen, in denen die Partner auf festgefügte Erwartungen reagieren. Das Schema dieser Handlungserwartungen, die zu einem Produktionserfolg führen sollen, repräsentiert bereits ein Wissen, das der einzelne Partner in den Handlungszusammenhang nicht mehr einzubringen braucht, aber vielleicht auch dem Umfang und der Qualität nach gar nicht einbringen kann. In Mensch-Maschine-Interaktionsnetzen, also in jeder größeren betrieblichen Organisation ist die Wissensinstitutionalisierung zur höchsten Form gelangt. Schon bei der Besichtigung eines chemischen Betriebes ist unmittelbar zu erfahren, das in ihm mehr Wissen repräsentiert und im Produktionsablauf wirksam ist als der Durchschnitt der Mitarbeiter oder ein Einzelner je erwerben könnte, auch ein Vorstandsmitglied nicht. …

Eine weitere Konsequenz der Investition von Wissen ist die Entwertung klassisch-humanistischer Informationsmittel. Organisationen tendieren dazu, ihre Mitglieder von zu großer Informationsaufnahme zu entlasten. Wenn jeder über das System, in dem er tätig ist, alles wissen müsste, wäre seine Handlungsfähigkeit, die Produktivität außerordentlich eingeschränkt. Je besser die soziale Organisation entwickelt ist, das heißt je mehr Information in die Interaktionsnetze eingebaut ist, desto mehr wird der allgemeine Informationsbedarf des Individuums herabgesetzt. Daraus ergibt sich die Regel: Die steigende Wissensinvestition in die soziale und betriebliche Organisation muss nicht auf einer parallel steigenden Wissensinvestition der beteiligten Individuen beruhen. Eine Verbesserung der Organisation kann sogar in gewisser Weise zur Dequalifikation der Individuen führen. . …

Quelle: „Die Dummheit der Informationsgesellschaft. Sozialpsychologie der Orientierung“ von Gerhard Schmidtchen

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