Von Ralf Keuper

In ihrem informativen Buch Das Buch vom Markt. Eine Wirtschafts- und Kulturgeschichte formulieren Gerd Hardach und Jürgen Schilling eine interessante These zum Aufstieg Europas im Mittelalter zum führenden Handels- und Produktionszentrum der Welt. Als Ursache machen sie die stark ausgeprägte Zersplitterung der Länder in Westeuropa zu Beginn des 11. Jahrhunderts aus. Hatten das byzantinische und das islamische Reich bis dahin stark von ihrer Zentralisierung profitiert, setzte in dem rückständigen Europa ein langsamer Aufholprozess ein. Gerade die Tatsache, dass sich im feudalen Europa die verschiedenen Städte, Regionen und Familien untereinander häufig im Streit befanden, war der Nährboden für den Siegeszug des Marktes. Ein im Rückblick kreatives Chaos:

ausgerechnet dieses Europa führte die wirtschaftliche Entwicklung weiter als die wohlorganisierte Gesellschaft der römischen Antike und als irgendeine der anderen in Großreichen organisierten Gesellschaften. Offenbar war unter den gegebenen Bedingungen eine bis an die Grenze der Anarchie reichende Dezentralisierung das geeignete Milieu, um langfristig zunehmende Arbeitsteilung, vermehrten Tausch und Produktivitätssteigerungen anzuregen. Neben die Entfaltung des Individuums trat der Zwang, neue soziale Institutionen zu entwickeln, um gleichsam befriedete Inseln innerhalb des allgemeinen Chaos zu bilden. (ebd.)

Interessanterweise stellt Marcus Popplow in seinem Buch Technik im Mittelalter ähnliche Überlegungen an:

Die vorläufig vielleicht plausibelste These für dieses kontinuierliche >Aufschaukeln< technischer Entwicklungen ist, dass Europa seit dem Zerfall der karolingischen Zentralmacht durch miteinander auf engem Raum konkurrierende Machtzentren gekennzeichnet war. …

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