Von Ralf Keuper

Kaum jemand hat in den letzten Jahrzehnten im deutschsprachigen Raum so viel zur Verbreitung des ökologischen Denkens beigetragen wie der inzwischen verstorbene Frederic Vester. In seinem Buch Leitmotiv Vernetztes Denken, in dem seine verschiedenen Beiträge zu den Themen Ökologie und vernetzte Systeme versammelt sind, liefert Vester nach wie vor inspirierende Gedanken. Er schreibt:

Die Gesamtheit einer Lebensgemeinschaft (Biozönose) zusammen mit ihrer Umwelt, in der sie integriert ist und mit der sie zu einem überlebensfähigen System organisiert ist, wird daher als Ökosystem bezeichnet. Überlebensfähigkeit bedeutet dabei – bei aller Fluktuation des Lebendigen – eine gewisse Stabilität. Stabilität wiederum verlangt die Einhaltung von Gleichgewichten, und dies wiederum funktioniert bei offenen Systemen am besten über Mechanismen der Selbstregulation unter möglichst wenig Input von Energie und unter möglichst vollständiger Schonung der zur Verfügung stehenden nichterneuerbaren Ressourcen. …

Im weiteren Verlauf benennt Vester acht Prinzipien der Natur, die das Überleben garantieren:

  • Das Prinzip der negativen Rückkopplung: Das bedeutet Selbststeuerung durch Aufbau von Regelkreisen statt ungehemmte Selbstverstärkung oder – nach dem Umkippen – Selbstvernichtung. Negative Rückkopplung muss daher über positive Rückkopplung dominieren.
  • Das Prinzip der Unabhängigkeit von Wachstum: Die Funktion eines Systems muss auch in einer Gleichgewichtsphase gewährleistet sein, das heisst vom quantitativen Wachstum unabhängig sein. Denn ein permanentes Wachstum für alle Systeme ist eine Illusion.
  • Das Prinzip der Unabhängigkeit vom Produkt: Überlebensfähige Systeme müssen funktions- und nicht produktorientiert arbeiten. Produkte kommen und gehen. Funktionen aber bleiben.
  • Das Jiu-Jitsu-Prinzip: Hier geht es um die Nutzung vorhandener, auch störender Kräfte nach dem Prinzip der asiatischen Selbstverteidigung, statt ihrer Bekämpfung nach der Boxermethode mit teurer eigener Kraft.
  • Das Prinzip der Mehrfachnutzung: Es gilt für Produkte, Funktionen und Organisationsstrukturen. Es führt durch Verbundlösungen zu Multistabilität und bedeutet eine Absage an sogenannte Hundertprozentlösungen.
  • Das Prinzip des Recycling: Es bedeutet Nutzung von Kreisprozessen zur Abfall- und Wärmeverwertung. Das vermeidet sowohl Knappheit als auch Überschüsse.
  • Das Prinzip der Symbiose: Das heisst gegenseitige Nutzung von Verschiedenartigkeit durch Kopplung und Austausch. Das aber verlangt kleinräumigen Verbund. Monostrukturen können daher nicht von den Vorteilen der Symbiose profitieren.
  • Das Prinzip des biologischen Designs: Auch diese Regel lässt sich auf Produkte, Verfahren und Organisationsformen gleichermaßen anwenden. Es bedeutet Feedbackplanung mit der Umwelt, Vereinbarkeit von Resonanz mit biologischen Strukturen, insbesondere auch derjenigen des Menschen.

Weiterhin schreibt er:

Die Grundbedingung für die Überlebensfähigkeit eines Systems ist aber in jedem Fall und in jedem Zustand eine möglichst gut funktionierende Selbststeuerung von außen. Und zwar gerade , weil alle realen Systeme nach außen offen sind.

Berührungspunkte bestehen u.a. zu den Design-Prinzipien von Dieter Rams wie auch zur Resonanztheorie von Friedrich Cramer. Ebenso zur Synergetik von Hermann Haken.

Crosspost von Denkstil
Ein Gedanke zu „Leitmotiv vernetztes Denken“

Schreibe einen Kommentar