Anatomie einer Branchenkrise
Der Heidenheimer Maschinenbauer Voith kündigt den Abbau von 2.500 Stellen an – begleitet von der Beschwörung großer Zukunftstrends. Ein Blick in die Archive zeigt: Die Rhetorik recycelt sich seit Jahren, während die strukturellen Probleme ungelöst bleiben. Voith steht exemplarisch für ein Syndrom, das den gesamten deutschen Maschinenbau erfasst hat – die Verwechslung von strategischer Kommunikation mit strategischem Handeln.
Das Déjà-vu von Heidenheim
Im Jahr 2025 steht die Voith Group vor einem tiefgreifenden Umbau. Bis zu 2.500 Stellen sollen wegfallen, etwa ein Zehntel der Belegschaft. Die Commercial-Vehicles-Division wird in die neue Driventic GmbH ausgegliedert, ein Verkauf wird geprüft. Der neue CEO Dirk Hoke beschwört „Megatrends wie Dekarbonisierung und Digitalisierung“ als Wachstumstreiber. Das Unternehmen investiere in „Zukunftsfelder“, das „Service- und Digitalgeschäft“ sei der Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit.
Diese Sätze sind fast wortgleich mit einer Pressemitteilung im Jahr 2015. Damals kündigte Voith ebenfalls einen massiven Umbau an: 1.600 Stellen sollten gestrichen werden, die Industrial-Services-Sparte mit 18.000 Mitarbeitern wurde zum Verkauf gestellt. Auch damals war die Rede von „Megatrends“ – Mobilität, erneuerbare Energien, ressourcenschonende Produktion. Auch damals sollte ein neuer Konzernbereich, „Voith Digital Solutions“, das Unternehmen in die digitale Zukunft führen.
Die Parallelen sind nicht zufällig. Sie offenbaren ein Muster, das über Voith hinausweist und symptomatisch ist für den gesamten deutschen Maschinenbau: die Verwechslung von strategischer Kommunikation mit strategischem Handeln.
Der Beitrag als Interaktive Infografik
Naisbitt und die Fata Morgana
Der Begriff „Megatrend“ geht zurück auf John Naisbitt, der ihn 1982 in seinem gleichnamigen Bestseller prägte. Naisbitt analysierte lokale Zeitungen aus den gesamten USA und extrapolierte daraus zehn große Entwicklungslinien der Gesellschaft. Das Buch wurde ein Welterfolg – und begründete eine Industrie der Zukunftsbeschwörung.
Was dabei oft übersehen wird: Viele von Naisbitts Prognosen erwiesen sich als falsch. Der Trend „von kurzfristig zu langfristig“ etwa bewahrheitete sich nicht – der Kapitalismus wurde seither eher kurzfristiger. Der Übergang „von Hierarchien zu Netzwerken“ blieb in vielen Bereichen aus. Naisbitt verwechselte, wie Kritiker bemerkten, wünschenswerte Entwicklungen mit wahrscheinlichen.
Die eigentliche Funktion des Megatrend-Begriffs ist denn auch weniger prognostisch als legitimatorisch. Wenn ein Unternehmen behauptet, auf „Megatrends“ zu setzen, sagt es im Grunde: Wir folgen dem, was…

