Deutsche Wirtschaftslenker stilisieren sich gern als Opfer grüner Ideologie, während sie jahrzehntelang vom Lobbyismus profitierten. Doch auch die Politik trägt Verantwortung: Mit Robert Habeck stand ein fachlich unterqualifizierter Minister an der Spitze, als die Industrietransformation in die kritische Phase eintrat. Ein Beitrag über Schuldverschiebung, mangelnde Kompetenz und die Rückkehr verdrängter Strukturprobleme.
Die Täter-Opfer-Umkehr
Es ist ein vertrautes Muster: Wenn Krisen eskalieren, beginnt die Suche nach Schuldigen. In der deutschen Wirtschaftsdebatte hat sich ein Narrativ etabliert, das Manager und Industrievertreter zunehmend als Opfer einer Politik inszeniert, die ihnen die Elektromobilität aufgezwungen und die Wettbewerbsfähigkeit zerstört habe. Allen voran wird Robert Habeck als Sündenbock markiert – der grüne Wirtschaftsminister, der mit ideologischem Übereifer die deutsche Industrie ruinierte.
Doch diese Erzählung verschleiert mehr, als sie erklärt. Tatsächlich haben Wirtschaft und Politik jahrzehntelang symbiotisch zusammengewirkt. Die Automobilindustrie beeinflusste durch Lobbyverbände wie den VDA aktiv die politischen Entscheidungen, forderte staatliche Subventionen und prägte EU-Regulierungen mit. Über 300 Milliarden Euro investierte die Branche selbst in Elektromobilität – nicht unter Zwang, sondern aus strategischem Kalkül. Vorstände wie Mercedes-Chef Ola Källenius bekannten sich öffentlich zur Transformation, während sie gleichzeitig von Kaufprämien und Steuervorteilen profitierten.
Der Dieselskandal macht die Verantwortungsfrage besonders deutlich: Die Abgasmanipulationen wurden intern geplant und durchgeführt, Gerichte verurteilten Manager wegen Betrugs. Von politischem Zwang kann keine Rede sein – allenfalls von zu laxer Aufsicht. Dennoch hält sich hartnäckig die Legende von Managern als Handlangern einer fehlgeleiteten Politik.
Die Behauptung, deutsche Manager seien bloße „Handlanger der Politik“, verschleiert die enge Verflechtung von Industrie und politischer Steuerung. Wirtschaft und Politik profitierten jahrzehntelang wechselseitig voneinander: durch Lobbyismus, Subventionen und bequemes Mitlaufen im europäischen Regulierungsrahmen. Verantwortlichkeit liegt auf beiden Seiten – die Reduktion auf „politische Opfer“ dient vor allem der Entlastung ökonomischer Entscheidungsträger.
Habeck: Der falsche Mann zur falschen Zeit
Wenn die Selbststilisierung der Manager als Opfer eine Verzerrung darstellt, so bedeutet das nicht, dass die Politik von Verantwortung freizusprechen wäre. Im Gegenteil: Die Besetzung des wichtigsten Wirtschaftsministeriums Europas mit Robert Habeck erwies sich als folgenschwerer Fehler – gerade in einer Phase, die höchste fachliche Kompetenz und strategisches Management erforderte.
Die Beurteilung von Habecks fachlicher Eignung fällt selbst bei moderaten Beobachtern kritisch aus. Aus Kreisen des Liberalen Mittelstands und verschiedener Wirtschaftsverbände wurde er bereits 2024 als „fachlich ungeeignet“ für das Amt bezeichnet. Die Hauptargumente: fehlende ökonomische Expertise, zu starke ideologische Prägung und eine überforderte Ministeriumsführung.
Generalsekretärin Sarah Zickler formulierte es unverblümt: Ein Philosoph und Kinderbuchautor sei für die Leitung des wichtigsten Wirtschaftsministeriums Europas „nicht qualifiziert“.
Auch Wirtschaftsjournalisten wie Holger Zschäpitz und Kommentatoren des Cicero kritisierten seine „wirtschaftsferne Philosophie“ und „mangelnde Entscheidungsfähigkeit“ während der Energie- und Industrieschwäche. Die Trauzeugen-Affäre um Staatssekretär Patrick Graichen wurde als Zeichen zweifelhafter Führungsfähigkeit und unprofessioneller Personalpolitik gewertet. Habecks öffentlich unglücklicher Umgang mit Themen wie der Gasumlage oder Insolvenzen verstärkte die Zweifel an seiner ökonomischen Urteilsstärke.
Faktisch weist seine Amtszeit eine ambivalente Bilanz auf: Zwar wurde der Ausbau erneuerbarer Energien massiv beschleunigt – 2024 stammten rund zwei Drittel des Stroms aus regenerativen Quellen. Doch die Wirtschaft stagnierte, das BIP sank leicht, und Investitionen wanderten ins Ausland. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer bezeichnete Habecks Wirtschaftspolitik gegen Ende der Ampel-Legislatur als „größtes Geschäftsrisiko“ für viele Unternehmen. In Befragungen nannten über 50 Prozent der Betriebe energiepolitische Unsicherheiten und hohe Kosten als Hauptproblem.
Der schleppende Netzausbau, fehlende Preissicherheit und eine Vielzahl neuer Berichtspflichten belasteten besonders energieintensive Bereiche der Industrie. Der Abschied von Kohle und Kernenergie ohne ausreichende Ersatzkapazitäten führte zu Versorgungssorgen. Selbst Energieexperte Ferdinand Dudenhöffer, der die grundsätzliche Richtung der Transformation befürwortete, sprach von einem „Autogipfel-Desaster“ und kritisierte den Wegfall der Prämien sowie den schleppenden Ausbau der Infrastruktur scharf.
Fachlich betrachtet fehlten Habeck nach Ansicht vieler Ökonomen tiefgehende Kenntnisse makroökonomischer Wechselwirkungen und industriepolitischer Feinsteuerung. Seine Stärken lagen eher in Kommunikation und Zielsetzung, nicht in Management und Umsetzung. Selbst wohlwollende Stimmen sprechen von einer „Hälfte Erfolg / Hälfte Schadens-Bilanz“: Klimaziele erreicht, wirtschaftliche Resilienz geschwächt.
Damit lässt sich der Eindruck stützen, dass Habeck für das Amt des Wirtschafts- und Klimaministers fachlich unterqualifiziert war – insbesondere für die komplexe Steuerung einer Industrietransformation in Krisenzeiten. Die politische Kommunikation verstärkte den Eindruck von Hektik, weil Förderinstrumente und Regulierungen häufig revidiert oder umgebaut wurden. Politische Beschlüsse wurden als reaktiv statt strategisch empfunden, und wirtschaftliche Akteure fühlten sich, trotz Fördervolumina in Milliardenhöhe, zunehmend ohne Planungssicherheit.
Beschleunigung statt Verursachung
Ökonomen und Energieexperten betonen allerdings, dass Deutschlands Energiekrise nicht allein auf Habecks Politik zurückgeht: Sie ist Folge des russischen Gaslieferstopps und jahrzehntelanger Strukturversäumnisse. Habecks Maßnahmen – LNG-Ausbau, Strompreisbremsen, Netzausbau – zielten darauf, kurzfristige Engpässe zu verhindern. Die grüne Energiepolitik hat eine bestehende Krise beschleunigt, aber nicht hervorgerufen.
Der überstürzte Ausbau erneuerbarer Energien bei gleichzeitig technologischem und regulativem Rückstand im Netzmanagement führte zu Stressreaktionen am Markt, etwa bei Strompreisen oder Betrieben mit fossiler Abhängigkeit. Habecks Politik folgte eher der Logik des Krisenmanagements als einer langfristig abgestimmten Industriepolitik. Das Problem war nicht die Richtung, sondern die mangelnde Fähigkeit, den Prozess professionell zu steuern.
Parallel erhöhte sich der politische Druck auf nationaler und europäischer Ebene. Vorschriften wie das EU-Lieferkettengesetz, Emissionsgrenzen und Berichtspflichten verschärfen laut Unternehmensvertretern die Wettbewerbsnachteile Europas gegenüber den USA und China. Diese Vorgaben wurden von der grünen Klimaagenda zwar mitgetragen, entstammen aber meist EU-Initiativen, die bereits vor Habecks Amtszeit beschlossen wurden. Bundeskanzler Merz forderte daher jüngst einen „drastischen Bürokratieabbau“ und warf Brüssel „Regulierungswut“ vor, die Jobs gefährde.
Diese Dynamik erklärt, warum gegenwärtig eine Atmosphäre der Hektik und Fragmentierung herrscht: Ein fachlich überfordeter Minister traf auf eine Gemengelage aus Energiekrise, EU-Regulierungsdruck und historischen Strukturdefiziten. Die Folge war keine strategische Industriepolitik, sondern ein reaktives Durchwursteln, das weder der Wirtschaft noch dem Klimaschutz wirklich diente.
Die verdrängten Strukturprobleme
Die eigentliche Dimension der Krise wird erst sichtbar, wenn man weiter zurückblickt. Intellektuelle wie Christian Graf von Krockow und Hans Ulrich Wehler diagnostizierten bereits in den 1980er Jahren strukturelle Schwächen der deutschen Wirtschaft: institutionelle Trägheit, mangelnde Reformfähigkeit, Innovationsblockaden. Krockow warnte vor einer politischen Kultur der Konsensroutine und Konfliktvermeidung, die ökonomische Anpassungsprozesse verhindere. Er sah die Bundesrepublik als durch institutionelle Schwerfälligkeit geprägt – Eigenschaften, die ökonomische Anpassungsprozesse blockierten.
Wehler, einer der führenden Vertreter der Bielefelder Schule, erkannte eine Erosion des sozialstaatlichen Kompromisses und eine Konzentration von Vermögen und Macht bei einer wohlhabenden Minderheit. Leistungszuwächse stagnierten, während sich Ungleichheiten vertieften. Nach der Wiedervereinigung, so Wehler, wurden diese Entwicklungen nicht korrigiert, sondern durch den „Einheits-Boom“ überlagert.
Die immensen Transferzahlungen und der politische Fokus auf „Aufbau Ost“ verschoben die Aufmerksamkeit von westdeutschen Strukturdefiziten – Exportabhängigkeit, Investitionsrückstand, veraltete Technologien. Die Wiedervereinigung wirkte wie eine ökonomische Nebelwand, die Modernisierungsblockaden verdrängte und in nationale Selbstbestätigung kleidete. Wehler bezeichnete dies in den 1990er Jahren als „Übermalung von Strukturproblemen durch die Illusion eines historischen Sieges“.
Was heute als plötzliche Krise erscheint, ist in Wahrheit die Rückkehr verdrängter Strukturprobleme: Energieabhängigkeit, Innovationsmangel, soziale Fragmentierung. Krockow und Wehler bildeten intellektuell die Vorläufer jener späteren Analysen, die die aktuelle Wirtschafts- und Politikkrise als Rückkehr verdrängter Strukturprobleme interpretieren.
Die große Verschiebung
Noch weiter zurück führt die Perspektive des französischen Historikers Fernand Braudel. In seiner monumentalen Trilogie über Zivilisation und Kapitalismus entwickelte er die Theorie der „Weltökonomien“ – überregional organisierte Wirtschaftsräume mit jeweils einem dominanten Zentrum, das sich im Laufe der Geschichte verschiebt. Von den mediterranen Stadtstaaten über Amsterdam und London bis New York folgte jedes Zentrum einem Zyklus von Expansion, Reife und Verlangsamung.
Braudel prägte den Begriff der „longue durée“ – der langen Dauer – um zu zeigen, dass wirtschaftliche Machtverschiebungen über Jahrhunderte erfolgen und von Geografie, Umwelt und sozialem Gefüge tief geprägt sind. Der Aufstieg Europas war demnach nur eine geschichtliche Zwischenphase in einer viel älteren Bewegung, die vom Mittelmeer nach Nordwesteuropa, dann über den Atlantik führte – und heute weiter nach Asien.
Braudel verstand die Weltwirtschaft nicht als lineare Fortschrittsgeschichte, sondern als ein System von sich ablösenden wirtschaftlichen Zentren. Diese geografische „Schwerkraft der Wirtschaft“ folgt langfristigen Produktions-, Handels- und Kapitaldynamiken, die kein politisches System dauerhaft aufhalten kann. In der heutigen Forschung wird sein Ansatz angewandt, um das Erstarken Asiens als neues ökonomisches Zentrum zu interpretieren.
Die gegenwärtige Verschiebung des ökonomischen Schwerpunkts nach China, Indien und Südostasien ist damit kein Betriebsunfall, sondern Teil eines historischen Zyklus. Weltökonomien sind Wandersysteme, keine statischen Ordnungen. Was als Krise der deutschen Industrie erscheint, ist der Übergang vom atlantischen zum pazifischen Zeitalter – eine Transformation, die sich über Jahrzehnte hinzieht und durch keine noch so geschickte Industriepolitik aufzuhalten ist.
Braudel hat die gegenwärtige globalökonomische Verschiebung nicht nur vorweggenommen, sondern ihr auch eine theoretische Tiefenschicht gegeben – als wiederkehrende Transformation der Weltökonomie entlang historischer Zyklen von Produktion, Handel und Macht.
Doppelte Verantwortungslosigkeit
Die gegenwärtige Krise der deutschen Wirtschaft ist das Ergebnis einer doppelten Verantwortungslosigkeit. Auf der einen Seite stehen Manager, die jahrzehntelang von politischen Entscheidungen profitierten, die sie selbst durch Lobbyarbeit mitgestaltet hatten, und die sich nun als Opfer inszenieren. Auf der anderen Seite steht eine Politik, die in einer kritischen Phase der Transformation einen fachlich unterqualifizierten Minister ans Steuer setzte.
Robert Habeck war der falsche Mann zur falschen Zeit. Seine fehlende ökonomische Expertise, gepaart mit ideologischer Überzeugung und mangelnder Führungsstärke, führte zu einer Politik der Hektik statt der Strategie. Förderinstrumente wurden eingeführt und wieder kassiert, Regulierungen verschärft und revidiert, Versprechungen gemacht und gebrochen. Das Ergebnis war nicht die von ihm angestrebte „Klimaneutralität mit Wohlstand“, sondern eine Atmosphäre der Unsicherheit, die Investitionen lähmte und Unternehmen in die Defensive trieb.
Doch auch die härteste Kritik an Habeck darf nicht verschleiern, dass er ein Symptom ist, nicht die Ursache. Die Strukturprobleme, die Krockow und Wehler bereits in den 1980er Jahren diagnostizierten, hätten auch unter einem kompetenteren Minister zum Vorschein kommen müssen. Die Wiedervereinigung hatte sie nur überdeckt, nicht gelöst. Und die globale Machtverschiebung, die Braudel theoretisch vorwegnahm, hätte Deutschland auch mit besserer Regierungsführung getroffen.
Was die gegenwärtige Situation so verheerend macht, ist die Kombination aus langfristigen Strukturdefiziten, globalem Wandel und akutem Politikversagen. Die Manager haben Recht, wenn sie die Politik kritisieren – aber sie haben Unrecht, wenn sie ihre eigene Verantwortung leugnen. Die Kritiker Habecks haben Recht, wenn sie seine fachliche Unzulänglichkeit anprangern – aber sie haben Unrecht, wenn sie glauben, ein besserer Minister hätte die Krise verhindern können.
Verantwortung statt Schuldzuweisung
Die Frage ist nicht, wer schuld ist. Die Frage ist, wer Verantwortung übernimmt. Weder die eindimensionale Selbststilisierung der Manager als Opfer noch die ebenso eindimensionale Verteidigung Habecks als Krisenmanager werden der Komplexität der Lage gerecht.
Was Deutschland braucht, ist eine ehrliche Bestandsaufnahme: der Rolle der Industrie im politischen Prozess, der Qualifikation politischer Entscheidungsträger, der strukturellen Defizite, die seit Jahrzehnten verdrängt werden, und der globalen Machtverschiebung, die keine nationale Politik aufhalten kann. Nur dann lässt sich eine Strategie entwickeln, die nicht auf Schuldzuweisung und Feindbildern basiert, sondern auf nüchterner Analyse und gemeinsamer Verantwortung.
Die Krise der deutschen Wirtschaft ist keine Frage falscher Entscheidungen in den letzten Jahren. Sie ist die Konsequenz verdrängter Probleme über Jahrzehnte, verschärft durch akutes Politikversagen und globale Umwälzungen. Wer das nicht anerkennt, wird die Zukunft nicht gestalten können – weder als Manager noch als Minister.

