Von Ralf Keuper

Die deutschen Automobilzulieferer sind zusammen mit den Herstellern (OEMs) in eine Sackgasse geraten, aus der es kaum noch ein Entrinnen gibt. Zusammen haben sie eine Komplexität geschaffen, die ihnen nun zum Verhängnis wird. Zwar ist es richtig, dass die deutschen Hersteller und Zulieferer es geschafft haben, die komplexen Produktions- und Logistikprozesse zu beherrschen – im Zeitalter softwaredefinierter Autos und der Elektromobilität werden diese Kompetenzen indes nicht mehr benötigt.

Warum das so ist, zeigt ein Blick zum chinesischen Hersteller BYD. Dessen „Erfolgsgeheimnis“:

BYD setzt dabei auf eine Strategie, die nicht nur auf Innovation, sondern auch auf Skaleneffekte abzielt. Viele Bauteile werden über Modellreihen hinweg geteilt, was die Produktion in sehr größeren Stückzahlen ermöglicht und die Kosten weiter senkt. Zusätzlich profitiert BYD davon, zahlreiche Komponenten selbst zu fertigen, was Abhängigkeiten von Zulieferern reduziert[1]E-Auto-Geheimnis gelüftet: BYD schockt VW und andere mit seiner Bauweise.

Bei den „klassischen“ Automobilherstellern lief die Entwicklung genau anders herum. Alles, was irgendwie ausgelagert werden konnte, wurde nach außen vergeben. Die Fertigungstiefe der Hersteller nahm entsprechend ab, die Komplexität stieg, wie bei Ford.

In jedem Ford gab es Dutzende von Computersystemen von unterschiedlichen Zulieferern, die alle miteinander kommunizieren und wie ein einheitliches System funktionieren mussten. Mit der Zeit war eine ungeheure Komplexität entstanden und eine Vereinfachung schien zu diesem Zeitpunkt fast unmöglich – zumal ein Unternehmen wie Ford kontinuierlich Hunderttausende Autos pro Jahr produzieren musste und es sich nicht leisten konnte, eine Umbauphase einzulegen. Tesla dagegen hatte ganz von vorn begonnen und konnte seine eigene Software zum Zentrum des Model S machen(in: Elon Musk. Tesla, PayPal, SpaceX).

Vor einigen Jahren schrieb der ehemalige Entwicklungschef von Audi, Alexander Voigt, dass die deutschen Hersteller, statt wie Tesla ein vertikal integriertes System zu etablieren, sich viel zu lange auf Zulieferer verlassen hätten. Diese hätten „zwar stets günstige und effiziente Komponenten beigesteuert, es sei dadurch aber kein vernetztes Datenmanagement in den Autos zustandegekommen[2]Ex-Audi-Entwicklungschef: „Es wird blutig, wir haben verschlafen“. Weiter bemängelt er:

Wenn Sie ein Fahrzeug eines dieser Hersteller fahren, steuern einige hundert Chips separat ein komplexes Netzwerk in Ihrem Fahrzeug, das jedoch nicht koordiniert oder zentralisiert ist. Tausende von Zulieferern sind daran beteiligt, die teilweise zusammenarbeiten und teilweise unabhängig sind. Allen gemeinsam ist, dass alle Systeme nur in ihrer eigenen kleinen Box arbeiten und nicht mit einem zentralen Computer oder, um noch einmal meine Analogie zu verwenden, dem zentralen Gehirn unserer Krake kommunizieren[3]There Will Be Blood — Peter Mertens, Former Head of Audi R&D: “We All Did Sleep”.

Soweit die alte Welt.

Das war die Welt, in der die Autoindustrie ungestört lebte, bis Tesla sein erstes BEV herausbrachte. Tesla war das erste Unternehmen, das ein Fahrzeug auf den Markt brachte, das mit einer hohen vertikalen Integration um einen zentralen Computer herum entwickelt wurde, der alle Kern- und Nebenfunktionen verwaltet. Das kann man von außen nicht sehen, und deshalb verstehen die Leute immer noch nicht, warum ein Tesla so anders ist. Sie lernen es in der Regel in dem Moment, in dem sie auf das Gaspedal treten.

Kurzum: Tesla, BYD & Co. brauchen kein Bosch, ZF und Co. Im Gegenteil: Sie würden die Komplexität nur unnötig erhöhen, indem neue Schnittstellen entwickelt und neue interne Prozesse mit entsprechendem Abstimmungsaufwand eingeführt werden müssten.

Der ehemalige Audi-Manager und Verkehrsforscher Andreas Knie wirft der deutschen Automobilindustrie vor, in ihrer Arroganz geglaubt zu haben, ihre Technologie sei überlegen. Dadurch hätten sie die notwendige Transformation verschlafen[4]„Wolfsburg wird das neue Detroit, Schwaben das neue Ruhrgebiet“: Schreckensszenario für die deutsche Autoindustrie.

Zulieferer und Hersteller befinden sich in einem klassischen Innovators Dilemma. Pfadabhängigkeiten, die sich über Jahrzehnte entwickelt und hervorragend funktioniert haben, müssen aufgelöst werden. Das ist eine Generationenaufgabe.