Von Ralf Keuper

Unter dem fast schon profanen Titel “Unternehmer” veröffentlichte Joseph A. Schumpeter im Jahr 1928 einen Beitrag für das Handwörterbuch der Staatswissenschaften, der auch heute noch zu lesen lohnt.

Auszüge:

2. Worauf beruht die Überlegenheit der privaten über die öffentliche Unternehmung? Diese Überlegenheit ist augenfällig, nicht ernstlich bestritten und noch größer als es scheint, weil der öffentlichen Unternehmung das Beispiel der privaten vor Augen steht und weil ihr von der Privatindustrie fortwährend neue Methoden – z.B. in Gestalt neuer Maschinen – dargeboten, ja aufgedrängt werden. Allein nach dem Gesagten ist es klar, dass man das nicht einfach dadurch erklären kann, dass ein jeder besser arbeite, wenn er es für seine Rechnung tut. Auch höheres Fachwissen in der Privatindustrie kann nicht die Erklärung geben, denn der Staat kann sich jederzeit das beste vorhandene Fachwissen verschaffen. Vielmehr dürfte die Erklärung in den folgenden zwei Umständen liegen: Tatsächlich wird die Privatindustrie von einem Personenkreis geleitet, der heute auch dort noch, wo er nicht selbst durch die Schule des Konkurrenzkampfes gegangen ist, dessen Tradition festhält und dessen Ausleseresultat darstellt. Sodann ist die Ein-Mann-Unternehmung der Konkurrenzzeit eine einzigartige Methode, volle Entschlussfreiheit und zugleich die stärkste Garantie gegen Mangel an Verantwortungsgefühl zu bieten. Obgleich nun die moderne Großunternehmung und besonders der Trust  über die Möglichkeit dieser Methode in der Regel – noch immer gibt es Trusts und Konzerne, die ein Mann absolut beherrscht – hinausgewachsen sind, so hat sich in ihnen noch viel von diesen Grundsätzen erhalten, während den leitenden Mann der öffentlichen Unternehmung, zahlreiche Faktoren jeweils überzeugen zu müssen, ungleich mehr lähmt als das Bewusststein, dass ihm der pekuniäre Erfolg einer Neuerung nicht oder nur zum kleinen Teil zufällt.

3. Ist die Bedeutung der Unternehmerfunktion im Steigen oder im Sinken? Es kann ungeachtet des gegenteiligen Anscheins, der dadurch erzeugt wird, dass mit der steigenden Größe der Unternehmungseinheit die Gestalt des >großen< Unternehmers zu einem besonders auffälligen Element modernen Wirtschafts- und Soziallebens geworden ist, nicht zweifelhaft sein, dass diese Frage im letzterem Sinne zu beantworten ist. Denn immer mehr gewöhnt sich das soziale Ganze an stetes Neuern im Wirtschaftsprozess, immer selbstverständlicher wird es, dass jede neue Erkenntnis, sowie vorhanden, auch in die wirtschaftliche Praxis umgesetzt wird. Immer weiter dehnt sich wie auf anderen Gebieten, so auch auf dem Gebiet des Wirtschaftens, der Bezirk des streng Berechenbaren – technisch wie kommerziell – aus. Beide Umstände erleichtern und demokratisieren die Führerfunktion im allgemeinen und die Funktion des Unternehmers im besonderen nicht nur, sondern sie drücken auch ihre Bedeutung herab: Manche Schwierigkeiten, deren Überwindung eine wesentliche Aufgabe des Unternehmers war und noch ist, tendieren wegzufallen. Und vielfach wird zur erlernbaren spezialisierten Facharbeit, was früher – und großtenteils noch heute  – “Blick” und “Persönlichkeit” erforderte und erfordert. Was hier fraglich sein kann, ist nur, wieweit dieser seiner Natur nach unaufhaltsame Prozess schon gediehen ist, wie schnell er fortschreiten wird und ob eine rationelle Wirtschaftspolitik sich vernünftigerweise bereits auf seine bisherigen Ergebnisse stützen kann.

(Quelle: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 1928, VIII. Band, IV.Auflage)

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