Von Ralf Keuper

Auf SPON bespricht Tobias Becker das neue Buch von Holm Friebe Die Stein-Strategie. Von der Kunst nicht zu handeln.

Mit seiner Stein-Strategie will Friebe ein Gegenstück zum gängigen, vom Aktionismus geprägten Handeln in Wirtschaft, Politik und Sport liefern.

So weit so gut, denkt man sich. Nicht wirklich neu, aber auf den ersten Blick originell. Ein Eindruck, der sich beim weiteren Lesen des Artikels jedoch schnell verflüchtigt. Als Beispiel für den Erfolg seiner “Stein-Strategie” führt Friebe ausgerechnet die Tour de France an. Dort nämlich gewinnen meist diejenigen, die sich lange im Windschatten aufgehalten und erst auf den letzten Kilometern die Deckung verlassen. Die “aktionischen Ausreißer” dagegen haben ihr Pulver recht bald verschossen und landen unter ferner liefen. Dass die Sieger der Tour de France fast allesamt gedopt haben, zumindest unter Doping-Verdacht stehen, scheint Holm Friebe entgangen zu sein.
Ein Blick auf die Formel 1 zeigt, dass dort häufig derjenige, der beim Start die Pole-Position einnimmt, auch gute Aussichten hat als Erster durchs Ziel zu gehen. Mir ist jedenfalls nicht bekannt, dass Michael Schumacher sich bevorzugt im Windschatten aufgehalten hat. 
In der Fussballbundesliga kann ein Fehlstart alle Aussichten auf die Meisterschaft zunichte machen.

Ein gutes Beispiel für die Stein-Strategie im Spitzensport ist der legendäre Boxer Muhammed Ali, der seine Gegner erst einmal einige Runden auf seine Deckung schlagen ließ, bevor er selber zum Angriff überging. 

Den Hinweis auf den postheorischen Manager übergehe ich hier bewusst. 

Was nun wirklich schmunzeln lässt, ist die Behauptung, dass die Technologie-Pioniere die Dynamik des Fortschritts systematisch überschätzen. Auf den Gedanken, dass es auch umgekehrt sein könnte, kommt Friebe anscheinend nicht, passt es doch nicht in sein Konzept. Apple beispielsweise als Unternehmen zu bezeichnen, dass die Durchschlagkraft der eigenen Produkte und Technologien überschätze, wäre wohl eine Gesichte aus dem Reich der Fabel. Der Erfolg spricht hier eine andere Sprache. Gleiches gilt für Google, Amazon und auch den Alt-Star Microsoft. Anders sieht es bei Nokia und Blackberry aus. 

Clayton Christensen hat in seinen Forschungen, die er u.a. in seinem Buch The Innovator’s Dilemma, worin der das Schicksal ehemaliger Marktführer schildert, gezeigt, dass unternehmerisches Scheitern darauf zurückzuführen ist, dass technologische Trends nicht rechtzeitig erkannt oder aber ignoriert wurden. Andy Grove konnte Intel zusammen mit Geoffrey Moore nur retten, da sie ihren hoffnungslosen Rückstand im Halbleiter-Sektor erkannten und sich auf die Herstellung von Mikroprozessoren verlegten. Wären sie der Stein-Strategie gefolgt, würde es Intel nicht mehr geben. 

Ein Unternehmen, das über lange Zeit äußerst erfolgreich als Nachahmer agiert hat, war IBM. 

Ein Land übrigens, das im Bereich der Technologie der Stein-Strategie folgt, ist Deutschland. Deutschland ist eher ein Imovator als Innovator. Eine Strategie, die sich für Deutschland bisher als erfolgreich erwiesen hat. Zwar nie an der Spitze der Entwicklung, aber immer noch nahe genug dran, um nicht abgehängt zu werden. Bevor sich bei uns (technologische) Innovationen durchsetzen können, müssen erst einmal alle andere Bereiche/Systeme in Wirtschaft und Gesellschaft darauf abgestimmt werden. Ist das erfolgt, geht die Umstellung rasch und gründlich. Das ist nach wie vor die deutsche Erfolgsformel. Die funktioniert jedoch nur, wenn die anderen Nationen einen abweichenden Ansatz verfolgen. Wo sollen sonst die Innovationen herkommen und wer soll die Premium-Produkte aus deutscher Herstellung kaufen? 

Kurzum: Wie so oft, so empfiehlt sich auch hier ein situatives Vorgehen. Mit herausragenden technologischen Neuerungen hat man als Unternehmen in den USA nach wie vor größere Erfolgsaussichten als in Deutschland. Das liegt sicherlich auch an der Start-Up – Kultur in den USA. (Andere Sicht: Entrepreneurship versus the state)

Der Gegensatz von Aussitzern und Machbarkeitsfanatikern ist daher künstlich. Wo Friebe allerdings recht hat, ist bei dem Hinweis, dass einige wenige Dinge richtig zu tun, weitaus wirkungsvoller ist, als vieles anzufangen und nicht zu Ende zu bringen. 

Ähnlich halten es Warren Buffet und Charles Munger von Bearkshire Heathaway, die angeben pro Jahr nur zwei bis drei strategisch wichtige Entscheidungen zu treffen. Mit ihrer Investmentstrategie verfolgen sie einen Ansatz, der zwar im Sinne Friebes steinige Züge enthält, vielleicht aber als Kompromiss dienen kann: 

Ich sollte betonen, dass Charlie und ich als Bürger den Wandel begrüßen: Frische Ideen, neue Produkte, innovative Verfahren und dergleichen mehr führen dazu, dass der Lebensstandard in unserem Land steigt, und das ist eindeutig gut. Aber als Investoren dagegen reagieren wir auf eine Branche im Umbruch entsprechend unserer Einstellung zur Eroberung des Weltraums: Wir applaudieren dem Bemühen, aber wir möchten nicht mitfliegen. (in: Die Essays von Warren Buffett. Das Buch für Investoren)


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