Keine Panzer, keine Raketen, keine offene Konfrontation – und doch zwingt China den Westen in die Knie. Die aktuelle Chipkrise offenbart eine Strategie, die Sun Tzu vor 2500 Jahren beschrieb: Siege ohne Schlacht. Durch Kontrolle der Halbleiterlieferketten demonstriert Peking, wie wirtschaftliche Abhängigkeiten zur mächtigsten Waffe des 21. Jahrhunderts werden.
Als die niederländische Regierung dem chinesischen Eigentümer die Kontrolle über Nexperia entzog, folgte Pekings Antwort prompt – und sie kam nicht in Form diplomatischer Proteste. China drehte den Chip-Hahn zu. Plötzlich fehlten in deutschen Automobilwerken kritische Halbleiter, Produktionslinien stockten, Liefertermine gerieten in Gefahr. Kein Schuss war gefallen, keine Sanktion offiziell verhängt worden. Nur eine „technische Regulierungsmaßnahme“, wie es hieß. Doch die Botschaft war unmissverständlich: Wer Chinas Interessen blockiert, dessen Industrie steht still.
Was sich hier abspielt, ist keine gewöhnliche Handelspolitik. Es ist die Anwendung einer Kriegskunst, die der chinesische Stratege Sun Tzu bereits im 5. Jahrhundert vor Christus beschrieb: „Die höchste Kunst der Kriegsführung ist es, den Feind ohne Kampf zu besiegen.“ China führt keinen Wirtschaftskrieg im traditionellen Sinne – es schafft Situationen, in denen der Gegner den Kampf gar nicht erst aufnimmt, weil er seine Aussichtslosigkeit bereits erkennt.
Die Chipkrise ist das perfekte Schlachtfeld für diese Strategie. Halbleiter sind das Nervensystem der modernen Wirtschaft: unverzichtbar für Autos, Smartphones, Industrieanlagen, Rüstungsgüter. Wer diese Lieferketten kontrolliert, besitzt einen Hebel von beispielloser Reichweite. Und China hat diesen Hebel systematisch aufgebaut. Während westliche Unternehmen auf Effizienz und globale Arbeitsteilung setzten, sicherte sich Peking strategische Positionen in der Wertschöpfungskette – vom Rohmaterial über die Fertigung bis zur Verpackung.
Die Initiative „Made in China 2025″ offenbart die Langfristigkeit dieser Planung. Während Europa und die USA jahrzehntelang auf chinesische Zulieferer vertrauten, arbeitete China konsequent daran, die eigene Abhängigkeit zu eliminieren. Das Ergebnis: China kann zunehmend ohne den Westen produzieren – der Westen aber kaum noch ohne China. Eine asymmetrische Konstellation, die Sun Tzu als ideal beschrieben hätte: Der Gegner ist verwundbar, man selbst nicht.
Die Brillanz dieser indirekten Strategie liegt in ihrer Ungreifbarkeit. Wenn China Exportbeschränkungen verhängt, kann es auf technische Standards, Qualitätskontrollen oder Umweltauflagen verweisen. Offiziell geschieht nichts Illegitimes. Faktisch aber wird wirtschaftlicher Druck ausgeübt, der politische Konzessionen erzwingt. Es ist Machtausübung im Gewand bürokratischer Normalität – und damit kaum angreifbar durch internationale Gremien oder Handelsregeln.
Für europäische Autohersteller, die auf just-in-time-Produktion optimiert sind, wird diese Strategie zur existenziellen Bedrohung. Ein fehlendes 50-Cent-Bauteil kann die Auslieferung eines 50.000-Euro-Fahrzeugs um Monate verzögern. Die gesamte industrielle Effizienz, auf die der Westen so stolz war, verwandelt sich in eine Verwundbarkeit. China muss nicht angreifen – es muss nur nicht liefern.
Gleichzeitig verstärken die amerikanischen Exportkontrollen gegen China paradoxerweise Pekings Anreiz, die eigene Chipindustrie noch aggressiver auszubauen. Jede westliche Sanktion beschleunigt Chinas Unabhängigkeit, während die westliche Industrie weiterhin auf chinesische Komponenten angewiesen bleibt. Ein strategisches Dilemma: Der Versuch, China zu schwächen, treibt es in die Autarkie – während der Westen in der Abhängigkeit verharrt.
Sun Tzu schrieb: „Wer den Gegner ohne Schlacht besiegen will, muss seine Strategie untergraben, seine Allianzen brechen und seine Versorgung unterbrechen.“ Genau das geschieht in der Chipkrise. China untergräbt die westliche Industriestrategie der schlanken Lieferketten, es nutzt wirtschaftliche Hebel, die militärische Allianzen irrelevant machen, und es kontrolliert Versorgungslinien, die kritischer sind als jede Ölpipeline.
Die Frage ist nicht mehr, ob China diese Strategie erfolgreich anwendet. Die Frage ist, ob der Westen rechtzeitig eine Antwort findet – oder ob die Einsicht der Aussichtslosigkeit bereits zur Kapitulation führt, bevor der Kampf überhaupt begonnen hat. Genau das wäre Sun Tzus Definition des perfekten Sieges.

