Nur den wenigsten Forschern gelingt eine Erfindung, die einen neuen Markt schafft. Noch seltener ist, wenn sich ein öffentliches Forschungsinstitut über Jahrzehnte aus den Lizenzeinnahmen einer Erfindung selbst finanzieren und kostspielige Prozesse zur Durchsetzung der Patentrechte führen kann. Gelungen ist dieses Kunststück dem Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mühlheim an der Ruhr, wo der spätere Nobelpreisträger für Chemie, Karl Ziegler, im Jahr 1953 ein Verfahren zur Herstellung von Kunststoffen wie Polyethylen und Polypropylen entdeckte. Bis heute werden basierend auf seinen Patenten jährlich mehrere Millionen Tonnen Polyolefine hergestellt.
Relativ schnell stellte sich heraus, dass Ziegler und seinem Team eine grundsätzliche Erfindung gelungen war:
Spätestens nach zehn Jahren vom Zeitpunkt der Erfindung war für Interessierte erkennbar, dass es sich im Fall des Ziegler-Katalysators um eine grundsätzliche Erkenntnis handelte. Die Wirkungsweise des Katalysators war graduell und selektiv zu beeinflussen. In zahllosen Verbesserungsvorschlägen wurde aber das Prinzip weder überholt noch gefährdet. Die beiden Komponenten des Ziegler-Katalysators – Titan- bzw. Übergangsmetallverbindung oder die Organoaluminiumverbindungen bzw. Organometallverbindung blieb unersetzlich. Die Aussage wurde dadurch noch erhärtet, dass es eigentlich bis heute – also nach fast fünfzig Jahren – keine kommerziell betriebene Polymerisationsanlage für Polypropylen gibt, in der die Katalysatormischung diese beiden Komponenten nicht enthält.
Was rückblickend so schlüssig erscheint, war jedoch ein steiniger Weg, auf dem zahlreiche juristische Auseinandersetzungen geführt werden mussten. Keinesfalls, so Heinz Martin, einer der engsten Mitarbeiter Zieglers und selber maßgeblich an der Entdeckung beteiligt, in seinem Buch Polymere und Patente, war die Durchsetzung des Patents des sog. Ziegler Katalysators ein Selbstläufer:
Es hat über die gesamte Zeitspanne der “Lebens- und Laufzeit” der in diesem Rahmen erreichten Schutzrechte bis zum Ende nicht an Versuchen gefehlt, die Schutzrechte zu beseitigen, ihre Bedeutung zu bagatellisieren, sie zum umgehen und sie “vorsätzlich” zu verletzen. Hier ist das hohe Können der von Ziegler und der Studiengesellschaft gewählten Anwälte von außerordentlicher Bedeutung gewesen. Sicherlich war es ein Glücksfall, dass die wissenschaftliche Weiterentwicklung der Ziegler-Katalysatoren über die gesamte Laufzeit nicht dazu geführt hatte, eine kommerziell und ökonomisch günstigere Kombination für die katalytische Wirksamkeit zu eine, die das System”Organoaluminiumverbindung /Titanhalogenide” hätte ersetzen können, aber es gehörte eben auch die profunde Kenntnis der jeweils nationalen Patentgesetzgebung dazu, durch präzise Formulierungen der späteren Patentanmeldungstexte evtl. Lücken zu schließen.
Die großen Konzerne wie Du Pont ließen nichts unversucht, um die Ansprüche des Max-Planck-Instituts in Mühlheim, deren Interessen von der Studiengesellschaft Kohle und der Fachanwälte vor Gericht vertreten wurden, zu verwässern und abzuschwächen:
Das immense kommerzielle Interesse an den Ziegler-Katalysatoren hat dazu geführt, dass jeder auch nur halbwegs Erfolg versprechende Weg beschritten wurde, um Ziegler, seinen Mitarbeitern und seinem Institut eine angemessene Teilhabe an den Früchten der Entdeckung zu verwehren, oder wenigstens zu beschneiden, mit juristischen ebenso wie mit wissenschaftlichen Argumenten oder auch durch schlichte Verletzung bestehender Schutzrechte.
In den meisten Fällen einigte man sich auf Vergleichszahlungen, die im Durchschnitt 2 Mio. Dollar betrugen. Über die Jahre kam dadurch eine durchaus ansehnliche Summe zusammen, die es dem Institut und seinen Forschern ermöglichte, weitere Prozesse durchzustehen und ihre Forschungsarbeit zu finanzieren.
Wie wichtig das Patentrecht für die Durchsetzung der Schutzrechte an der Erfindung war bzw. ist, wurde den Beteiligten am Max Planck – Institut für Kohlenforschung mit der Zeit immer bewusster. Ein wasserdichtes Patent anzumelden, so die wesentliche Erkenntnis, ist fast unmöglich, zumindest aber herausfordernd:
Patentrechtlich ist festzuhalten, dass ein Konflikt zwischen Forschern und ihren Ergebnissen einerseits und der Anerkennung durch die Patentämter andererseits weltweit zwar unterschiedlich behandelt wurde und wird, aber im Grundsatz den gleichen Auslöser hat: Das von Forschern erkannte Prinzip eines neuen Verfahrensweges oder das Auffinden eines neues Stoffes wurde und wird meist ohne ausreichende Beispiele beansprucht, die vom Erfinder geforderten weiten Anspruchsgrenzen werden aber von den Ämtern nicht anerkannt. Die eilige Patentanmeldung auf ein interessantes Forschungsergebnis bleibt problembeladen – Versuche zur Abgrenzung sind für den Forscher langweilig -, wenn nicht die Beschreibung so umfassend abgefasst wurde und wird, dass der Konkurrent kaum Möglichkeit erhält, durch eigene Schutzrechtsanmeldungen in den Bereich des Schutzrechts einzudringen.
Die Gerichtsprozesse und juristischen Auseinandersetzungen zogen sich bis in das Jahr 1998 – also über einen Zeitraum von fast 50 Jahren. Das Ende hat Karl Ziegler nicht erlebt – er verstarb 1973.
Martin stellt zum Schluss einige grundlegenden Überlegungen darüber an, in welchen Fällen ein Vorgehen, wie das vom Max-Planck-Institut für Kohlenforschung, angeraten ist. Neben der reinen Kosten- und Nutzen – Abwägung kommen weitere Faktoren zum Tragen:
Es gibt Wissenschaftler, die eine Erfindung grundsätzlich nicht unter Schutz stellen wollen und damit eine Verwertung zum Nutzen ihrer eigenen Forschungseinrichtung ablehnen. Soll eine Institution, wie ein Max-Planck-Institut, sich einer Prozedur unterziehen, über einen Zeitraum von dreißig bis vierzig Jahren langwierige Auseinandersetzungen einzugehen? Sicherlich hängt die Antwort vom Verhältnis Gewinn zu Aufwand ab, aber nicht nur. Für Juristen, insbesondere Patentjuristen, gab es in Patenterteilungsverfahren sowie Urteilsbegründungen unterer und höchster Patentgerichte neue Gesichtspunkte. Aber auch die chemische Forschung ist durch den Verlauf der gerichtlichen und patentamtlichen Auseinandersetzungen und nicht zuletzt durch die Patente selbst befruchtet worden.