China beherrscht kritische Rohstoffe und prescht bei Künstlicher Intelligenz voran. Doch hinter der technologischen Fassade offenbart sich eine Ökonomie im Krisenmodus: Jugendliche ohne Perspektive, eine stagnierende Mittelschicht und ein Exportmodell, das an seine Grenzen stößt. Die Volksrepublik steht vor einem Wendepunkt – zwischen globalem Aufstieg und strukturellem Absturz.


Das Bild vom chinesischen Wirtschaftswunder hält sich hartnäckig. In westlichen Medien dominieren Berichte über Quantencomputer, Raumstationen und eine scheinbar unaufhaltsame technologische Überlegenheit. Doch die Realität ist komplexer und widersprüchlicher. China hat sich in den vergangenen Jahren tatsächlich zu einem globalen Innovationszentrum entwickelt – 2025 schaffte es erstmals in die Top 10 des Global Innovation Index. In Bereichen wie Künstliche Intelligenz, Halbleiterverarbeitung und erneuerbaren Energien erzielt das Land internationale Spitzenleistungen. Zugleich kontrolliert Peking strategisch entscheidende Rohstoffe: Seltene Erden, Lithiumverarbeitung, Graphitproduktion. Die verschärften Exportkontrollen von 2025 schaffen gezielte Abhängigkeiten für westliche Auto-, Batterie- und Rüstungshersteller – eine „doppelte Abhängigkeit“, wie Fachleute warnen.

Doch diese technologische Dominanz verdeckt tieferliegende Brüche. Chinas Wirtschaft wuchs im dritten Quartal 2025 nur noch um 4,8 Prozent, nach 5,2 Prozent im Vorquartal. Die offiziellen Zahlen gelten vielen Analysten ohnehin als politisch motiviert und geschönt. Dahinter verbirgt sich eine fundamentale Krise: schwache Binnennachfrage, eine eskalierende Immobilienkrise, hohe lokale Verschuldung und stagnierende Einkommen. Konsum und private Investitionen erholen sich nur zögerlich. Das bisherige Erfolgsmodell – exportgetriebenes Wachstum bei massiven staatlichen Investitionen – gerät ins Stocken.

Die Generation ohne Zukunft

Am sichtbarsten wird die Krise bei der Jugend. Die Arbeitslosenquote unter 16- bis 24-Jährigen lag im August 2025 bei 18,9 Prozent – der höchste Wert seit Dezember 2023. Zwischenzeitlich hatte die Regierung die Veröffentlichung der Zahlen ganz eingestellt, nachdem sie 2023 auf über 21 Prozent geklettert war. Rund zwölf Millionen Hochschulabsolventen traten 2025 in einen Arbeitsmarkt ein, der nicht genügend qualifikationsgerechte Stellen bietet.

Die Ursachen dieser Misere sind strukturell. Ein Überangebot an Akademikern trifft auf eine schwache Nachfrage in den klassischen Einstiegsbranchen IT, Immobilien und Fertigung. Gleichzeitig eliminiert die zunehmende Automatisierung genau jene einfacheren Arbeitsplätze, die traditionell als Sprungbrett dienten. Es entsteht eine paradoxe Situation: China bildet Millionen hochqualifizierter Fachkräfte aus, während die neuen Hochtechnologieindustrien nur wenige spezialisierte Positionen schaffen. Das Resultat ist Unterbeschäftigung und bizarre Phänomene wie „Scheinbüros“, in denen junge Menschen gegen geringe Gebühren die Illusion von Arbeit aufrechterhalten.

Die stagnierende Mitte

Noch bedrohlicher für die soziale Stabilität ist die Gefahr der „middle-income trap“ – der Falle der mittleren Einkommen. China droht auf jenem Entwicklungsniveau stecken zu bleiben, das zwischen einfacher Exportwirtschaft und wissensbasierter Hochproduktivität liegt. Das nationale Durchschnittseinkommen lag 2024 bei lediglich 41.000 Yuan, umgerechnet etwa 4.900 Euro. Die offiziell definierte Mittelschicht verfügt über 60.000 bis 500.000 Yuan jährlich – ein großer Teil dieser Schicht lebt damit auf wirtschaftlich unsicherem Fundament.

Steigende Löhne und Produktionskosten machen einfache, exportorientierte Industrien zunehmend unrentabel, während der Übergang zu hochproduktiven Branchen noch nicht vollständig gelungen ist. Die Einkommensungleichheit nimmt zu, der Konsum bleibt hinter den Erwartungen zurück. Hohe Lebenshaltungskosten und mangelnde soziale Sicherung fördern ein ausgeprägtes Sparverhalten. Die Mittelschicht, einst Motor des chinesischen Aufstiegs, stagniert – und mit ihr wächst die „Statusangst“.

KI als Brandbeschleuniger

Ausgerechnet Chinas Technologiestrategie verschärft diese Spannungen. Seit der Initiative „Made in China 2025″ verfolgt Peking konsequent das Ziel, durch Automatisierung, Robotik und Künstliche Intelligenz unabhängigere und produktivere Industrien aufzubauen. Über 90 Prozent der chinesischen Unternehmen sehen KI und Robotik als Schlüsselfaktoren ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Mehr als die Hälfte aller weltweit installierten Industrieroboter steht inzwischen in China. In Fabriken der Elektroautoindustrie liegt der Automatisierungsgrad bereits bei über 40 Prozent – jährlich werden bis zu zehn Prozent der Arbeitskräfte abgebaut.

Foxconn rechnet damit, bis Ende 2025 nahezu ein Drittel seiner Produktionsmitarbeiter durch KI-basierte Systeme zu ersetzen. KI-gestützte Technologien übernehmen inzwischen nicht nur einfache Fertigungsschritte, sondern auch Programmierung, Qualitätskontrolle und Managementfunktionen. China befindet sich damit in einem brutalen Spannungsfeld: Die Regierung setzt auf KI, um international wettbewerbsfähig zu bleiben, akzeptiert jedoch implizit einen massiven Abbau von Beschäftigung – auch unter Hochqualifizierten. Das Wachstumsmodell verschiebt sich weg von arbeitsintensiver Industrialisierung hin zu einer elitären Hochtechnologieökonomie mit wachsendem sozialen Druck an der Basis.

Die Exportfalle

Angesichts der schwachen Binnennachfrage versucht China verzweifelt, über Exporte Wachstum zu generieren. Der Handelsbilanzüberschuss erreichte im ersten Halbjahr 2025 mit rund 586 Milliarden US-Dollar ein Rekordniveau. Doch diese Dynamik beruht weniger auf echter Nachfrage als auf aggressivem Preisdumping. Analysten sprechen von „exportierter Deflation“: Chinesische Produzenten versuchen, Überkapazitäten durch Billigpreise ins Ausland zu verlagern und überschwemmen damit die Weltmärkte.

Dieser Weg wird jedoch zunehmend unmöglich. Importländer reagieren mit Schutzzöllen, Handelsklagen und eigenen Subventionsprogrammen. Europa und Südostasien können den Zufluss billiger Waren nicht unbegrenzt aufnehmen, ohne soziale und wirtschaftliche Verwerfungen zu riskieren. Parallel streben Länder wie Indien, Vietnam und Indonesien gezielt danach, Chinas Stellung in globalen Lieferketten zu schwächen. Indien investiert über sein „Production-Linked Incentive“-Programm mehr als 25 Milliarden US-Dollar, um Elektronik-, Textil- und Halbleiterproduktion ins Land zu holen. Unternehmen wie Foxconn bauen dort bereits neue Fertigungsstandorte.

Chinas alte und neue Rivalen

Parallel verschärft sich der Wettbewerb in der Region selbst. Länder wie Indien, Vietnam und Indonesien sind längst nicht mehr nur wohlwollende Zuschauer des chinesischen Aufstiegs – sie haben sich zu ernsthaften Rivalen entwickelt, die gezielt darauf abzielen, Chinas Stellung in globalen Lieferketten zu schwächen und dessen Rolle als „Werkbank der Welt“ zu übernehmen.

Indien verfolgt dabei die aggressivste Strategie. Mit dem „Production-Linked Incentive“-Programm pumpt Neu-Delhi mehr als 25 Milliarden US-Dollar in den Aufbau heimischer Elektronik-, Textil- und Halbleiterproduktion. Das Kalkül ist klar: Indien bietet jüngere Arbeitskräfte, niedrigere Löhne und zunehmend bessere Infrastruktur – bei gleichzeitigem Zugang zu westlichen Märkten, die aus geopolitischen Gründen eine Diversifizierung ihrer Lieferketten anstreben. Unternehmen wie Foxconn und Vedanta bauen bereits neue Fertigungsstandorte in Indien auf. Apple produziert inzwischen einen signifikanten Teil seiner iPhones dort, Samsung verlagert Produktionskapazitäten.

Zwar bleibt Indien in vielen Hightech-Bereichen noch von chinesischen Vorprodukten und Komponenten abhängig, doch die industrielle Gewichtsverschiebung ist unübersehbar. Vietnam hat sich zur bevorzugten Alternative für arbeitsintensive Fertigung entwickelt, Indonesien positioniert sich als Rohstofflieferant und Verarbeitungsstandort für Nickel und andere Batteriematerialien. Diese Länder profitieren von Chinas strukturellen Schwächen: steigende Lohnkosten, demografischer Wandel, politische Unsicherheit.

Die regionale Konkurrenz verschärft Chinas Dilemma zusätzlich. Während Peking versucht, durch technologische Überlegenheit und Automatisierung wettbewerbsfähig zu bleiben, erobern südostasiatische und südasiatische Rivalen genau jene Marktsegmente, auf denen Chinas früherer Aufstieg basierte. Das Zeitfenster, in dem China sowohl in einfacher Massenproduktion als auch in Hochtechnologie dominieren konnte, schließt sich.

Die doppelte Falle

China droht eine doppelte Falle: Extern sind die globalen Absatzmärkte zunehmend gesättigt, die politische Gegenwehr gegen chinesische Exportdominanz wächst. Intern verhindern schwache Binnenkonjunktur und mangelnde Lohnzuwächse den Übergang zu einem konsumgetragenen Wirtschaftsmodell. Die Gewinne konzentrieren sich auf staatsnahe Großunternehmen, während kleine und mittlere Betriebe unter Margendruck geraten – ein klassisches Merkmal einer strukturellen Wirtschaftsfalle.

Das staatlich gelenkte Innovationsmodell zeigt zwar beeindruckenden Output – etwa in Form zahlreicher Patente –, doch echte Produktivitätsfortschritte im industriellen Alltag bleiben oft aus. Die politische Steuerung birgt inhärente Risiken für Innovationstiefe und Marktflexibilität. China kontrolliert zwar kritische Rohstoffe und dominiert in Schlüsseltechnologien, doch die soziale und wirtschaftliche Basis erodiert.

Ein Wendepunkt

China ist kein „gelobtes Land“, sondern ein komplexer Akteur zwischen modernster Technologie und wirtschaftlicher Verwundbarkeit. Das Land befindet sich an einem historischen Wendepunkt. Ohne tiefgreifende Reformen in Sozialpolitik, Bildung, Einkommensverteilung und Innovationsförderung könnte es tatsächlich in einer Wohlstandsfalle stecken bleiben – technologisch fortgeschritten, aber sozial und ökonomisch fragil.

Die Strategie, Wachstum über Exporte und technologische Rationalisierung zu sichern, stößt an ihre Grenzen. Weder Exportdominanz noch technologische Überlegenheit allein können China aus diesem Dilemma führen. Die eigentliche Herausforderung liegt nicht in der Beherrschung von Künstlicher Intelligenz oder kritischen Rohstoffen, sondern in der Frage, ob das Land den Übergang zu einem sozial tragfähigen, konsumgetragenen Wirtschaftsmodell schaffen kann. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob China diesen Spagat meistert – oder ob die technologische Fassade eine tieferliegende strukturelle Krise nur noch verdeckt.


Quellen:

China | Pekings Dilemma zwischen Export-Boom und Binnenmarkt-Stagnation: Die strukturelle Exportabhängigkeit als Wachstumsfalle

Chinas Wirtschaft kommt nicht richtig in Gang

Sind chinesische Wachstumszahlen glaubwürdig?

China: Fragile Konjunktur trotz Lichtblicken

Jugendarbeitslosigkeit in China erreicht neuen Höchststand

The future of jobs in China: the rise of robotics and demographic decline are opening up skills gaps