Von Ralf Keuper
Der Verbrennungsmotor, so scheint es, hat seinen Zenit überschritten. Demnächst könnte er durch den Elektromotor ersetzt werden. Einige Länder planen bereits, Autos mit Verbrennungsmotor zu verbieten, wie in China.
Vielleicht ist der Elektromotor nur der nächste logische Schritt, die nächste Stufe der technischen Evolution im Sinne von Gilbert Simondon. Dieser hatte in seinem Hauptwerk Die Existenzweise technischer Objekte über den Verbrennungsmotor geschrieben:
Das technische Objekt ist das, was seinem Werden nicht vorgängig, sondern in jeder Etappe dieses Werdens gegenwärtig ist. Das technische Objekt ist Einheit als Einheit des Werdens. Der Benzinmotor ist nicht dieser oder jener in Zeit und Raum gegebene Motor, sondern die Tatsache, dass es eine Abfolge, eine Kontinuität gibt, die von den ersten Motoren bis hin zu jenen reicht, die wir kennen und die sich noch in der Evolution befinden. … Das technische Wesen evoluiert durch Konvergenz und Selbstadaption; gemäß einem Prinzip der inneren Resonanz schließt es sich zu einer inneren Einheit zusammen. Der heutige Automotor ist nicht bloß deshalb der Nachfahre des Motors von 1910, weil es der Motor von 1910 war, den unsere Vorfahren konstruiert haben. Er ist auch nicht deshalb sein Nachfahre, weil er bezogen auf den Gebrauch perfektionierter wäre, denn tatsächlich gibt es den einen oder anderen Gebrauch, für den ein Motor von 1910 einem Motor von 1956 überlegen bleibt. ..
Demnach wäre der Elektromotor der legitime Nachfolger des Verbrennungsmotors, wenngleich auch er nicht perfekt ist. Er passt nur besser in die Umwelt, in das gegenwärtige Beziehungsgefüge in Form leistungsfähigerer Batterien und der entsprechenden Infrastruktur, wie Ladestationen. Demgegenüber sinkt der Bedarf an Autowerkstätten, an Tankstellen und Automobilzulieferern signifikant. Für sie ist kein Platz mehr im neuen Kausalitätsgefüge:
Als Motor, der auf den Motor von 1910 folgt, lässt sich der heutige Automobilmotor durch eine innere Untersuchung der Kausalitätsgefüge und der Formen bestimmen, insoweit sie diesen Kausalitätsgefügen angepasst sind. In einem aktuellen Motor ist jedes wichtige Teil dergestalt durch wechselseitigen Energietausch mit den anderen verbunden, dass es nicht anders beschaffen sein kann, als es tatsächlich ist. Die Form des Verbrennungsraums, die Form und Dimension der Ventile, die Form des Kolbens sind Bestandteil ein und desselben Systems, in dem eine Vielzahl wechselseitige Kausalitäten existiert. ….
Der Elektromotor bildet zusammen mit neuen Herstellern und den noch verbliebenen Zuliefern ein neues kohärentes System.
Das technische Objekt existiert also als ein spezifischer Typ, den man am Ende der konvergenten Serie erhält. Diese Serie verläuft von der abstrakten zur konkreten Existenzweise: Sie tendiert zu einem Zustand, der aus dem technischen Wesen ein System macht, das gänzlich kohärent ist, das vollständig eine Einheit bildet.
Das ist um so dramatischer für die Hersteller und Zulieferer, die ihre Produktionsanlagen und ihr “Humankapital” für die nächsten Jahrzehnte auf den Verbrennungsmotor ausgelegt haben. Das Dilemma sog. transaktionsspezifischer Investitionen oder auch des Commitment. Dadurch ist in vielen Regionen, wie in Stuttgart und Wolfsburg, eine Pfadabhängigkeit entstanden, deren Überwindung viele Jahre in Anspruch nehmen wird, so sie denn gelingt.