Von Moshammer bis Schuhbeck – Münchens Prominenz lebte jahrzehntelang von demonstrativem Konsum und symbolischem Kapital. Doch die einst strahlende Bussi-Bussi-Gesellschaft ist zerbröselt. Eine soziologische Betrachtung über den Absturz der Münchener Leisure Class und das Ende einer Ära.


Es gibt Städte, die ihre Identität aus Architektur beziehen, aus Geschichte oder Industrie. München aber definierte sich jahrzehntelang über seine Menschen – genauer: über jene schillernden Figuren, die das gesellschaftliche Leben der Stadt inszenierten wie ein nie endendes Spektakel. Rudolph Moshammer mit seinem Hündchen, Franz Beckenbauer als unangefochtener Kaiser, Alfons Schuhbeck als kulinarischer Botschafter bayerischer Lebensart. Sie alle waren Teil einer Münchener Leisure Class, die ihre Macht nicht allein aus produktiver Arbeit, sondern vor allem aus symbolischem Kapital, aus Sichtbarkeit und demonstrativem Konsum zog.

Helmut Dietls „Kir Royal“ hat dieser Welt 1986 ein filmisches Denkmal gesetzt – und sie zugleich seziert. Die Serie über den Klatschreporter Baby Schimmerlos und die Münchener Schickeria war Hommage und Demontage zugleich: Sie zeigte das Spiel von Bussi-Bussi, Champagner und Distinktion in seiner ganzen Absurdität und Faszination. Dietl verstand, dass diese Gesellschaft ein Theater war, in dem alle Beteiligten gleichzeitig Akteure und Publikum waren. „Kir Royal“ wurde zur Blaupause für das Verständnis der Münchener High Society – und dokumentiert heute eine Epoche, die unwiederbringlich vergangen ist.

Diese Welt ist untergegangen. Nicht schleichend, sondern oft abrupt, manchmal tragisch, immer aber symptomatisch für einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel.

Veblens Leisure Class im bayerischen Gewand

Thorstein Veblen beschrieb bereits 1899 in seiner „Theory of the Leisure Class“ das Phänomen einer wohlhabenden Oberschicht, die ihren Status nicht durch Arbeit, sondern durch zur Schau gestellte Muße und Konsum legitimiert. Demonstrativer Konsum – das Zeigen von Luxus, ohne produktiven Zweck – wird zum Distinktionsmerkmal, zur sichtbaren Grenze zwischen denen „da oben“ und dem Rest.

Die Münchener Prominenz der vergangenen Jahrzehnte funktionierte exakt nach dieser Logik. Luxuskarossen vor dem P1, Auftritte bei Käfer, teure Immobilien am Starnberger See, omnipräsent in Boulevard und Fernsehen – alles diente der öffentlichen Inszenierung von Überlegenheit. Die Tätigkeiten waren oft nicht primär produktiv, sondern symbolisch aufgeladen: Man erschien, man wurde gesehen, man war Teil der Szene.

Moshammer war nicht einfach Modedesigner, er war Münchener Original. Schuhbeck war nicht nur Koch, er war mediale Persona. Beckenbauer nicht nur Fußballer, sondern Identifikationsfigur einer ganzen Generation. Sie alle akkumulierten symbolisches Kapital – jene unsichtbare, aber mächtige Währung, die Pierre Bourdieu als entscheidend für gesellschaftliche Position identifizierte.

Symbolisches Kapital: Fragil und vergänglich

Bourdieu lehrt uns, dass gesellschaftliche Macht auf verschiedenen Kapitalformen beruht: ökonomischem, kulturellem, sozialem und symbolischem Kapital. Symbolisches Kapital – Prestige, Anerkennung, mediale Präsenz – ist dabei besonders anfällig. Es lebt von kollektiver Zustimmung und kann bei Vertrauensverlust abrupt zusammenbrechen.

Genau das geschah in München. Schuhbecks Steuerhinterziehung zerstörte nicht nur sein Vermögen, sondern vor allem sein Ansehen. Beckenbauers Verstrickung in Korruptionsskandale beschädigte das Bild des unantastbaren Kaisers nachhaltig. Josef von Ferenczy, der einst bestens vernetzte PR- und Medienmanager, verpasste den Absprung und verlor Vermögen und Unternehmen – sein Niedergang demonstriert exemplarisch, wie schnell soziales und ökonomisches Kapital verfallen können, wenn die Netzwerke nicht mehr tragen.

Doch die Geschichte der Münchener Leisure Class kennt noch eine dunklere Facette: jene Schicksale, die nicht aus der Logik von Skandal und Absturz folgen, sondern die brutale Kontingenz des Lebens offenlegen. Moshammers gewaltsamer Tod enthüllte die Verletzlichkeit eines Lebens in permanenter öffentlicher Exposition. Walter Sedlmayr, der volksnahe Schauspieler und Münchner Original, wurde Opfer eines brutalen Verbrechens – sein Tod legte persönliche Abgründe frei, die das öffentliche Bild nachträglich überschatteten.

Und dann sind da Monti Lüftner und Petra Schürmann – ihre tragischen Enden waren nicht ihrer Prominenz geschuldet, sondern dem Schicksal. Lüftners Tod unter tragischen Umständen, Schürmanns Leben, überschattet von familiären Katastrophen, die jahrelang die Gesellschaftspresse beschäftigten: Beide standen exemplarisch für den Glanz der Münchener High Society, doch ihre Schicksale bildeten einen grausamen Kontrast zu diesem glamourösen Leben. Gerade dieser Widerspruch – zwischen Glanz und Tragik, zwischen inszenierter Perfektion und existenzieller Verwundbarkeit – macht sie zu emblematischen Figuren einer Ära, in der das Strahlende und das Dunkle untrennbar miteinander verwoben waren.

Das Ende der Bussi-Bussi-Gesellschaft

Die klassische Münchener High Society ist heute fragmentiert, ihre Treffpunkte verschwunden, ihre Mechanismen obsolet. Das P1 ist nicht mehr der exklusive Olymp, Käfer nicht mehr der unumstrittene Treffpunkt der Schönen und Reichen. Die Szene-Lokale, in denen sich die Leisure Class konstituierte, sind geschlossen oder bedeutungslos geworden.

Mehrere Faktoren haben zum Niedergang beigetragen. Der gesellschaftliche Wertewandel entzaubert den demonstrativen Konsum als Statussymbol – in Zeiten von Klimawandel und sozialer Ungleichheit wirkt ostentative Zurschaustellung von Reichtum zunehmend deplatziert. Social Media hat die Logik der Aufmerksamkeit demokratisiert: Prominenz entsteht heute durch Reichweite, nicht durch Zugehörigkeit zu exklusiven Zirkeln. Jeder kann heute symbolisches Kapital akkumulieren – vorausgesetzt, er beherrscht die Codes von Instagram und TikTok.

Gleichzeitig gibt es einen Rückzug der alten Elite. Soziale Spannungen, Neid, politische Debatten über Privilegien – all das macht das unbeschwerte Leben und Feiern schwieriger. Die Bussi-Bussi-Gesellschaft flüchtet ins Private oder löst sich auf – oder versammelt sich an anderen Orten, wie den Tegernsee.

Vom Original zur Episode

Was bleibt, ist Nostalgie. Die Ära der großen Münchener Originale erscheint heute als historische Episode, als Zeit, in der Einzelpersönlichkeiten eine Stadt prägen konnten durch bloße Anwesenheit und Aura. Diese Zeit ist vorbei.

München hat sich gewandelt – es ist offener, fragmentierter, weniger personenzentriert. Die Stadt lebt nicht mehr von ihren schillernden Typen, sondern von wechselnden Netzwerken, von professionalisierter Kulturproduktion, von digitaler statt physischer Präsenz.

Die tragischen Schicksale der ehemaligen Prominenz sind mehr als biografische Zufälle. Sie sind soziologische Signale für das Ende einer Gesellschaftsordnung, in der symbolisches Kapital zentral war und demonstrativer Konsum Distinktion schuf. Veblens Leisure Class hat in München ausgedient – nicht weil es keine Reichen mehr gibt, sondern weil die Mechanismen der Statuszuschreibung sich fundamental verändert haben.

Was uns die Geschichte der Münchener Gesellschaftsprominenz lehrt, ist letztlich dies: Macht und Status sind niemals dauerhaft, wenn sie nur auf symbolischem Kapital und öffentlicher Inszenierung beruhen. Wer hoch steigt, kann tief fallen. Und eine Gesellschaft, die sich zu sehr auf ihre Stars verlässt, wird irgendwann feststellen, dass diese nie so strahlend waren, wie es schien – sondern nur geschickt im Licht standen.