Der Siegeszug der Motorisierung ist nicht allein auf die Fahrzeughersteller zurückzuführen; nicht minder wichtig war der Beitrag spezialisierter Zulieferer, wie Bosch, Deutz – und Sachs. Das Unternehmen aus der Kugellagerstadt Schweinfurt hat mit zahlreichen Innovationen den Fahrrad- und Automobilmarkt verändert. Der Gründer von Sachs, Ernst Sachs, war, wie Andreas Dornheim in seiner lesenswerten Biografie SACHS – Mobilität und Motorisierung: Eine Unternehmensgeschichte schreibt, zwar “nicht der geniale Erfinder, als den ihn die bisherige Unternehmensgeschichte präsentiert hat. Er war ein findiger Tüflter und sehr guter Mechaniker, der an den Alltagsfragen der Menschen, aber auch an seinen eigenen praktischen Erfahrungen ansetzte. Wie kann ich das Fahrradfahren erleichtern? Was muss ich tun, um den Reibungswiderstand und den Kraftaufwand zu verringern und das Fahrradfahren sicherer zu machen? Um diese Fragen zu lösen, holte er sich der theoretisch und mathematisch eher weniger geschulte und beschlagene Ernst Sachs Fachleute und Konstrukteure wie Johann Modler und Karl Großkopf ins Unternehmen, die einen großen Teil der Konstruktionsarbeit erledigten. .. Seine Unternehmensphilosophie war: Ich will Komponenten bauen, die jeder braucht. Das garantiert hohe Stückzahlen”.
Die Wahl von Schweinfurt als Unternehmensstandort erwies sich als ausgesprochen günstig für den wirtschaftlichen Erfolg von Sachs. Zu der Zeit hatte Friedrich Fischer bereits seine Kugelschleifmaschine entwickelt und damit den Grundstein für die Wälzlagerindustrie gelegt. Ebenfalls in Schweinfurt hatte Wilhelm Höpflinger eine weitere Kugellagerfabrik errichtet, die später von dem schwedischen SKF-Konzern übernommen wurde. Höpflinger war der Schwiegervater von Ernst Sachs.
Der erste große Verkaufsschlager aus dem Hause Sachs war die Torpedo-Nabe, eine Fahrrad-Hinterradnabe mit und ohne Gangschaltung mit Freilauf und Rücktrittbremse. Für den Erfolg des Unternehmens nicht weniger wichtig war jedoch die Kriegsproduktion der Jahre 1915 bis 1918. Während dieser Zeit konnte die Familie Sachs ihr Vermögen fast verdoppeln.
Ebenso wie Fischer und Höpflinger produzierte Sachs Kugellager im großen Stil. Allerdings musste Ernst Sachs erkennen, dass er aus eigener Kraft kaum die nötigen, wie man heute sagen würde, Skaleneffekte erzielen konnte. Hinzu kam, dass Sachs, anders als SKF, das damals schon der weltweit größte Kugellagerhersteller war, keine Erzgruben und auch kein Stahlwerk besaß. Im Jahr 1929 verkaufte Sachs schließlich die Kugellagerproduktion an SKF. Mit der Übernahme der Stempelwerk GmbH in Frankfurt war Sachs einer der größten Produzenten von Kupplungen und Stoßdämpfern für Automobile.
Nach dem Tod von Ernst Sachs ging die Führung des Unternehmens auf seinen Sohn Willy über. Dieser machte sich weniger als Unternehmer, denn als Frauenheld und Lebemann einen Namen. Sein Sohn Gunter sollte das Erbe seines Vaters, wenngleich in einem anderen, mondänen Stil, fortführen. Willy Sachs heiratete im Jahr 1925 Elinor von Opel, Enkelin des Automobilfabrikanten Adam Opel. Aus der Ehe gingen die Söhne Ernst-Wilhelm und Gunter hervor. Die Ehe wurde bereits nach wenigen Jahren geschieden.
Willy Sachs unterhielt enge Beziehungen zu den NS-Größen wie Himmler und Göring. Sachs leistete große Spenden an die NSDAP, die SS und andere NS-Organisationen. Die Spenden wurden keineswegs aus Zwang geleistet, wie Dornheim feststellt: “Sicherlich erfolgte ein Teil der Spenden über Absprachen und Umlagen der Industrieverbände und der Schweinfurter Industrie. Aber gerade die hohen Spenden an die NSDAP und die SS sowie die Darlehen an SS-Führer waren kein Automatismus, sondern eine Folge der Tatsache, dass Willy Sachs freiwillig in die SS eingetreten war und sich zum SS-Führer hatte ernennen lassen”.
Willy Sachs überließ die Führung des Unternehmens weitestgehend seinen Managern, insbesondere Heinz Kaiser. Umsatz und Gewinn des Unternehmens nahmen ab 1933 zunächst deutlich zu. Ab 1936 wendete sich allmählich das Blatt, als Geschwindigkeitsbeschränkungen, Treibstoffrationierungen und Fahrverbote verhängt wurden. Gut lief das Geschäft mit den Motorfahrrädern, wie der im Jahr1937 auf der IAA in Berlin vorgestellten Saxonette. Ab 1939 hatte die Kriegsproduktion den größten Anteil am Umsatz.
Nach dem 2. Weltkrieg produzierte Sachs weiterhin Fahrradnaben, Kupplungen, Stoßdämpfer und Motoren. 1952 rückte der älteste Sohn von Willy Sachs, Ernst-Wilhelm, in den Vorstand auf. Sein Bruder Gunter machte derweil als Playboy Schlagzeilen. Der Boom der Nachkriegsjahre sorgte auch bei Sachs für steigende Umsätze. Eine wichtige technische Innovation dieser Zeit war halbautomatische Kupplung Saxomat.
Am 19. November 1958 setzte Willy Sachs seinem Leben ein Ende. Mit seinem Testament leitete Willy Sachs den Niedergang des Unternehmens ein: “Zu Erben wurden zu gleichen Teilen die beiden ehelichen Söhne Ernst Wilhelm und Gunter Sachs berufen, allerdings nur zu Vorerben für die nächste Generation”. Die Söhne waren über diese Regelung aus naheliegenden Gründen nicht sonderlich erfreut. Der aufwendige Lebensstil der beiden, vor allem der Gunters, war auf den stetigen Zufluss großer Beträge angewiesen, die von der Firma – direkt oder indirekt – hätten aufgebracht werden müssen. “Trotz der Testamentsvollstreckung kam es allerdings zu hohen Entnahmen aus dem Vermögen, die jedoch vor allem über die Fichtel & Sachs Verkaufs-KG erfolgten. Der Finanzvorstand Widmaier informierte Roderich Mayr im Oktober 1962 darüber, dass »die Herren Sachs negative Kapitalkonten bei der KG von rund DM 8 Mio.« hatten. Es sei ihm völlig unklar, wie die Brüder »diese Verbindlichkeiten gegenüber der KG abdecken wollen”.
Nachdem Ernst-Wilhelm Sachs den Vorstandsvorsitz der Fichtel & Sachs AG übernommen hatte, wurde die Sachs-Gruppe deutlich ausgebaut. Neu hinzu kamen u.a. die Hercules-Werke in Nürnberg (Fahrräder, Motorräder, Mopeds) und die Fella-Werke GmbH in Feucht (Erntemaschinen und Ackergeräte). Umsatz und Mitarbeiterzahlen erreichten neue Höhen. “Der Ausbau der Sachs-Gruppe sollte ein Zeichen der Stärke sein, für strategisches Denken stehen und wirtschaftliche Risiken mindern”.
Ernst-Wilhelm Sachs teilte mit seinem Vater die Vorliebe für den Motorsport. Ein wirtschaftliches Desaster war die geschäftliche Verbindung mit der Hockenheim-Ring GmbH. In dem Zuge wurde ein “Sachs-Haus” errichtet. Dessen Unterhaltungskosten explodierten in den Jahren geradezu. “Die Verträge waren ungenau, teilweise nachteilig für das Unternehmen. Es existierten offensichtlich mündliche Zusagen von Ernst Wilhelm Sachs, und auch der Nachtrag zum eigentlichen Vertrag war von Ernst Wilhelm .. unterzeichnet worden. Dem Wunsch nach Selbstdarstellung wurde die rechtliche Sorgfalt untergeordnet”.
Bald darauf musste Ernst Wilhelm Sachs seinen Hut nehmen. Grund dafür sei laut Dornheim jedoch nicht das Kapitel Hockenheim-Ring gewesene, sondern das sich dramatisch verschlechterte Verhältnis zu Volkswagen. Dessen Generaldirektor Heinrich Nordhoff war bis 1962 im Aufsichtsrat von Fichtel & Sachs vertreten. Die steigenden Preise und die seiner Ansicht nach mangelnde Kostendisziplin bei seinem Zulieferer Fichtel & Sachs veranlassten ihn dazu, sein Amt als Aufsichtsrat niederzulegen. Der drohende Wegfall eines der wichtigsten Kunden brachte das Fass zum überlaufen – Ernst Wilhelm Sachs musste gehen. Fortan führte er wie sein Bruder Gunter ein Jet Set – Leben. Er verstarb bei einem Skiunfall.
Zuvor hatte Ernst Wilhelm zusammen mit Gunter den Verkauf von Fichtel & Sachs an das britische Unternehmen Guest, Keen & Nettlefolds Ltd. betrieben. Das Kartellamt machte jedoch einen Strich durch die Rechnung, da das neue Unternehmen im Bereich Kupplungen eine marktbeherrschende Stellung erlangt hätte. Der nächste Verkaufsversuch war dagegen von Erfolg gekrönt. In den Jahren 1987 und 1988 erwarb die Mannesmann AG 91 Prozent des Grundkapitals der Fichtel & Sachs AG. Einige Jahre darauf wurde Mannesmann selber geschluckt. In einer spektakulären Übernahmeschlacht verschaffte sich das britische Telekommunikationsunternehmen Vodaphone die Mehrheit an der Mannesmann AG. Schon bald darauf trennte sich Vodaphone von allen Aktivitäten, die nicht zum Kerngeschäft zählten – darunter war auch die Beteiligung an Fichtel & Sachs. Das Schweinfurter Unternehmen ging an die Zahnradfabrik Friedrichshafen (ZF). Bis zum Jahr 2011 firmierte Sachs unter ZF Sachs AG. Seitdem ist sie ein Teil des ZF-Friedrichshafen AG. Die Firma Fichtel & Sachs ist Geschichte.
Ein wichtiges und spannendes Stück deutscher Wirtschafts- und Technikgeschichte.