Personio, das bekannte Münchner HR-Software-Unternehmen, hat im Oktober 2025 erneut rund zehn Prozent seiner Belegschaft entlassen – das betrifft etwa 165 Mitarbeitende über alle Abteilungen und Standorte hinweg, einschließlich der vollständigen Einstellung des US-Geschäfts[1]Personio entlässt erneut ein Zehntel des Teams. Diese Entscheidung ist nicht die erste größere Entlassungswelle: Bereits im Januar 2024 und November 2024 gab es Kündigungen, wodurch insgesamt mehrere hundert Stellen gestrichen wurden. Der angekündigte Weg zur Profitabilität bis 2026 könnte sich als Irrweg erweisen – einer, der nicht nur über Trümmer führt, sondern möglicherweise selbst in Trümmern mündet.


Es gibt Momente, in denen Unternehmen ihre Maske ablegen müssen. Wenn die Zahlen nicht mehr aufgehen, wenn der Kapitalmarkt seine Geduld verliert, wenn aus dem Versprechen von morgen die harte Realität von heute wird. Für Personio, das einst als Aushängeschild der europäischen SaaS-Szene gefeiert wurde, ist dieser Moment längst gekommen. Die jüngste Entlassungswelle im Oktober 2025 ist mehr als nur ein weiterer Schritt auf dem steinigen Weg zur Profitabilität – sie ist ein Symptom für die grundlegende Herausforderung, vor der viele wachstumsgetriebene Tech-Unternehmen stehen: Wie verwandelt man ambitionierte Expansion in nachhaltiges Geschäft, ohne dabei die eigene Substanz zu verlieren?

Die Arithmetik des Scheiterns

Die Zahlen erzählen eine Geschichte von Widersprüchen. 2023 verbuchte Personio einen Umsatz von 144 Millionen Euro – beachtlich, könnte man meinen. Doch dahinter verbirgt sich ein operativer Verlust von 177 Millionen Euro. Das ist keine Investition in die Zukunft mehr, das ist ein Geschäftsmodell, das auf Pump läuft. Die Restrukturierungen, die sich nun wie eine Kette durch die vergangenen zwei Jahre ziehen, sind der verzweifelte Versuch, diese Gleichung zu korrigieren. Doch Entlassungen lösen keine strukturellen Probleme – sie verschieben sie nur.

Der Rückzug aus dem US-Markt, einst als strategischer Befreiungsschlag kommuniziert, offenbart die ganze Tragweite des Dilemmas. Internationale Expansion kostet nicht nur Geld, sie erfordert auch die Fähigkeit, sich in fremden Märkten zu behaupten. Personio hat diese Rechnung nicht aufgehen lassen können. Nun konzentriert man sich auf die DACH-Region, wo der Großteil des Umsatzes generiert wird. Das klingt nach Fokussierung, ist aber auch ein Eingeständnis: Die globalen Ambitionen sind vorerst gescheitert.

Die Gratwanderung zwischen Kostendisziplin und Wachstum

Personios Plan, bis 2026 die Gewinnzone zu erreichen, folgt einem klassischen Drehbuch: Personalabbau zur Kostensenkung, Fokussierung auf profitable Kernmärkte, Effizienzsteigerungen in Produkt und Prozessen. Auf dem Papier ergibt das Sinn. In der Praxis ist es eine Gratwanderung, bei der ein falscher Schritt fatale Folgen haben kann.

Denn Kostensenkungen allein sind kein Heilmittel. Sie reduzieren zwar die Ausgaben, aber sie können auch die Innovationskraft lähmen, die Servicequalität beeinträchtigen und das Vertrauen von Kunden wie Mitarbeitenden untergraben. Der Rückzug aus den USA mag die Kostenbasis senken, führt aber unweigerlich zu Umsatzeinbußen. Die Entlassungen mögen kurzfristig die Bilanz entlasten, verursachen aber Restrukturierungskosten, Abfindungen und vor allem: einen Verlust an Know-how und Kapazitäten.

Was Personio jetzt bräuchte, ist nicht nur Kostendisziplin, sondern nachhaltiges Umsatzwachstum. Doch genau hier wird es schwierig. Der HR-Software-Markt ist 2025 dichter umkämpft denn je. Konkurrenten wie Factorial, HRWorks, Kenjo oder BambooHR drängen mit ähnlichen Lösungen in denselben Markt. Hinzu kommt ein technologischer Trend, der das Spiel neu definiert: generative KI. Wer heute in der HR-Software erfolgreich sein will, muss KI-gestützte Automatisierung, datenbasierte Entscheidungsfindung und personalisierte Nutzererlebnisse bieten. Die Konkurrenz tut das bereits. Personio steht unter Druck, mitzuhalten – und zwar mit weniger Personal, weniger internationaler Reichweite und einer angespannten Finanzlage.

Innen verfällt, was außen glänzen soll

Während Personio nach außen die Botschaft von strategischer Neuausrichtung und Fokussierung sendet, zeigt sich im Inneren ein anderes Bild. Die Mitarbeiterbewertungen auf Kununu lesen sich wie ein Protokoll der Desillusionierung. Entscheidungen werden top-down getroffen, ohne ausreichende Erklärung. Das Vertrauen in das Management schwindet. Die Kommunikation ist widersprüchlich, die Führung überfordert, die Atmosphäre von Unsicherheit und Anspannung geprägt.

Was hier zum Vorschein kommt, ist der Kern eines kulturellen Problems: Personio hat sich in den Jahren des schnellen Wachstums eine Unternehmenskultur zugelegt, die auf Jugend, Hunger und Anpassungsbereitschaft setzt – und dabei Erfahrung, Stabilität und langfristige Perspektiven vernachlässigt. Die ständigen Umstrukturierungen, die Führungswechsel, die mangelnde Transparenz haben eine Belegschaft hinterlassen, die hauptsächlich an guten Kolleginnen und Kollegen klebt, nicht mehr am Unternehmen selbst. Loyalität bröckelt. Identifikation schwindet. Was bleibt, ist eine Organisation, die ihren eigenen Ansprüchen nicht mehr gerecht wird.

Wenn das Produkt glänzt, der Service aber versagt

Auch die Kundenperspektive zeichnet ein ambivalentes Bild. Mit einem TrustScore von 4,1 von 5 Sternen auf Trustpilot scheint Personio auf den ersten Blick gut dazustehen. Doch die Verteilung ist entlarvend: 62 Prozent vergeben fünf Sterne, aber 22 Prozent nur einen einzigen. Diese Polarisierung ist typisch für ein Unternehmen, das in einer Umbruchphase steckt.

Die positiven Stimmen loben die Funktionsvielfalt, die intuitive Bedienung, die Automatisierung von HR-Prozessen. Personio kann, wenn es funktioniert, tatsächlich einen erheblichen Mehrwert bieten. Doch die negativen Bewertungen sprechen eine andere Sprache: Der Kundensupport verschlechtert sich, Wartezeiten werden länger, Bugs häufen sich, die Kommunikation nach Vertragsabschluss lässt nach. Kunden berichten von „Verschlimmbesserungen“, instabiler Software, langwierigen Kündigungsprozessen. Was in der Implementierungsphase noch professionell erscheint, wird im laufenden Betrieb zur Belastung.

Diese Diskrepanz zwischen anfänglicher Begeisterung und späterer Enttäuschung ist mehr als nur ein Serviceproblem. Sie ist Ausdruck eines Unternehmens, das unter den eigenen Restrukturierungen leidet und diese Last an seine Kunden weiterreicht. Wer intern Personal abbaut, Prozesse umkrempelt und gleichzeitig die Profitabilität erzwingen will, hat wenig Kapazität für exzellenten Kundenservice. Das Produkt mag noch funktionieren, aber das Versprechen dahinter – verlässliche Betreuung, kontinuierliche Verbesserung, echte Partnerschaft – löst sich zunehmend in Luft auf.

Der schmale Grat zur Gewinnzone

Kann Personio den Turnaround schaffen? Die Frage ist berechtigt, die Antwort unsicher. Theoretisch sind alle Elemente vorhanden: ein etabliertes Produkt, eine solide Position im DACH-Markt, ein wachsender HR-Digitalisierungstrend. Praktisch aber sieht sich das Unternehmen einer Vielzahl von Herausforderungen gegenüber, die sich gegenseitig verstärken.

Die Kostensenkungen sind notwendig, aber nicht hinreichend. Ohne Umsatzwachstum bleibt die Gewinnzone unerreichbar. Doch Umsatzwachstum erfordert Innovation, Kundenbindung und Marktdurchdringung – genau die Bereiche, die unter den Restrukturierungen leiden. Die Fokussierung auf die DACH-Region mag kurzfristig die Marge verbessern, langfristig aber begrenzt sie das Potenzial. Der Wettbewerb schläft nicht, die technologische Entwicklung geht weiter, die Erwartungen der Kunden steigen.

Personio steht vor der klassischen Herausforderung eines Unternehmens, das zu schnell gewachsen ist und nun die Rechnung präsentiert bekommt. Der Kapitalmarkt ist nicht mehr bereit, riskante Wachstumswetten zu finanzieren. Er fordert Profitabilität, und zwar jetzt. Doch der Weg dorthin ist steinig, und nicht jedes Unternehmen schafft ihn unbeschadet.

Lehren aus dem Münchner Experiment

Die Geschichte von Personio ist exemplarisch für eine ganze Generation von Tech-Unternehmen, die in den letzten Jahren durch die Zyklen von Hype, Wachstum und Ernüchterung gegangen sind. Sie zeigt, dass schnelles Wachstum allein noch kein Erfolgsmodell ist. Dass internationale Expansion nicht automatisch funktioniert. Dass Profitabilität nicht durch Sparprogramme erzwungen werden kann, sondern durch nachhaltiges Wirtschaften erarbeitet werden muss.

Was Personio jetzt braucht, ist mehr als nur Restrukturierung. Es braucht eine grundlegende Neudefinition dessen, was das Unternehmen sein will und kann. Es braucht eine Kultur, die nicht nur auf Jugend und Anpassung setzt, sondern auf Erfahrung und Stabilität. Es braucht ein Produktversprechen, das nicht nur in der Akquisephase überzeugt, sondern auch im langjährigen Betrieb. Es braucht einen Kundenservice, der dem Anspruch einer führenden HR-Software gerecht wird.

Ob Personio diesen Weg gehen kann, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Die Entlassungen, der Rückzug aus den USA, die angekündigte Profitabilität bis 2026 – all das sind Etappen auf einem Weg, dessen Ausgang ungewiss ist. Eines aber ist klar: Der Glanz der frühen Jahre ist verblasst. Was bleibt, ist die harte Arbeit, aus einem wachstumsgetriebenen Versprechen ein tragfähiges Geschäft zu machen. Und die Erkenntnis, dass der Weg zur Profitabilität in diesem Fall möglicherweise nicht nur über Trümmer führt, sondern selbst in Trümmern münden könnte.