Kaum ein anderes Unternehmen verkörpert die Geschichte des deutschen Maschinenbaus so prägnant wie Trumpf aus Ditzingen. Unter Berthold Leibinger entwickelte sich das Unternehmen von einem regionalen Mittelständler zu einem weltweit führenden Anbieter von Werkzeugmaschinen und Lasertechnologien. Leibingers geniale Fähigkeit, technologische Trends frühzeitig zu erkennen und konsequent in Produkte umzumünzen, begründete den Aufstieg. Massive Investitionen in Forschung und Entwicklung – insbesondere in die EUV-Technologie, die heute für die Halbleiterindustrie unverzichtbar ist – positionierten Trumpf an der Spitze der Innovation.
Doch dieser Erfolg täuscht. Heute steht Trumpf exemplarisch für den schleichenden Niedergang einer ganzen Branche. Die Strategie, technisch anspruchsvolle und komplexe Maschinen zu hohen Preisen anzubieten, erweist sich zunehmend als Sackgasse. Diesmal geht es nicht um eine vorübergehende Absatzkrise, sondern um eine fundamentale Strukturkrise.
Das Bemerkenswerte: Trumpf ist zum Musterbeispiel dafür geworden, wie ein Unternehmen seine eigentliche Krise durch geschickte PR und ein gepflegtes Außenbild überlagern kann. Während die Realität des Unternehmens – Massenentlassungen, demoralisierte Mitarbeiter, fehlende Innovationskraft – längst sichtbar wird, präsentiert sich Trumpf in Interviews und Statements nach außen hin als zukunftsweisender Player.
Die Chefin äußert sich zu Strategiefragen, während intern die Verunsicherung wächst. Das ist das Paradoxe dieser Geschichte: Ein Unternehmen, das einmal für echte Innovation stand, lebt heute zunehmend vom Schein – und verliert dabei die Substanz.
Die Krise der 1990er Jahre: Eine verpasste Lektion
In den frühen 1990er Jahren durchlebte die deutsche Maschinenbauindustrie bereits eine schwere Krise. Deckel, Maho, Gildemeister und Traub standen vor dem Aus, während Trumpf noch relativ stabil war. Aus Bankenkreisen kam die Idee einer Deutschen Werkzeugmaschinen AG – getragen von Deutsche-Bank-Vorstand Rolf E. Breuer. Diese führte schließlich zur Fusion von Deckel, Maho und Gildemeister zu DMG und später DMG Mori.
Damals identifizierte Berthold Leibinger, selbst VDMA- und Trumpf-Chef, das Kernproblem klar: „Ein Generalproblem des deutschen Maschinenbaus ist die zu große Produktvielfalt vieler Unternehmen. Wir müssen bei Erhaltung des technischen Vorsprungs zu größeren und damit kostengünstigeren Serien kommen.“
Die Branchenbeobachter erkannten es schon 1991: Die „Flucht des deutschen Maschinenbaus in das High End“ war eine Sackgasse. Die Fokussierung auf technisch höchst anspruchsvolle Maßlösungen führte zum Verlust der Volumenmärkte. Gleichzeitig explodierten Variantenvielfalt und Komplexitätskosten. Damals drängten die Japaner in die Oberklasse – doch Experten hätten lieber Kundennutzen statt technische Machbarkeit sehen wollen, mehr Produktvereinfachung, weniger Varianten. Trumpf galt damals als positives Beispiel für diese Strategie.
Die Ironie der Geschichte: Genau diese Lektion wurde nie wirklich gelernt.
Die Falle der Pfadabhängigkeit
Heute ist nicht mehr Japan die Bedrohung, sondern China. Chinesische Hersteller dringen erfolgreich in die Maschinenbau-Oberklasse ein. Das eigentliche Problem liegt tiefer: Branchen und Unternehmen, die lange erfolgreich sind, verfallen in ein gefährliches Denkmuster. Sie sehen die Zukunft als bloße Fortsetzung der Gegenwart – und genau das nennt man Pfadabhängigkeit. Im Südwesten Deutschlands, vor allem um Stuttgart, ist dieses Phänomen besonders ausgeprägt.
Seit Jahrzehnten hat sich um die Autoindustrie ein dichtes Netzwerk von Zulieferern gebildet. Trumpf etwa profitiert nicht nur vom Automobilgeschäft, sondern auch als ASML-Zulieferer in der Halbleitertechnik. Diese sogenannten „Sunk Costs“ – die schon investierte Zeit, das Wissen, die Beziehungen – erzeugen eine gefährliche Mentalität: „Wir sind die Besten – ohne uns geht es nicht.“ Gerade Ingenieure sind anfällig für dieses Denken.
Dann kommt der Schock. Die Umweltbedingungen verändern sich „unerwartet“. Die Autohersteller fahren Investitionen zurück. Der Bedarf an neuen Maschinen sinkt. Und chinesische Hersteller wie BYD – Chinas neuer Autokoloss – brauchen deutsche Maschinenbauer nicht mehr. Unter Druck der Regierung greifen sie zu einheimischen Anbietern.
Intel-Chef Andy Grove nannte dies einen „strategischen Wendepunkt“: „Wenn Sie den Kurs Ihres Unternehmens an einem Wendepunkt nicht sorgfältig steuern, passieren Sie einen Gipfelpunkt und danach geht das Geschäft zurück.“
ASML und die chinesische Gegenwelt
Auch ASML, einer der wichtigsten Kunden von Trumpf und Zeiss, befindet sich an diesem Wendepunkt. Die Geschäfte liefen lange ausgezeichnet. Intel, AMD, TSMC – alle schienen von ASML abhängig zu sein. Doch solche Monopol-Situationen währen in der Wirtschaftsgeschichte nie ewig.
Chinesische Wissenschaftler vom Harbin Institute of Technology haben eine kompakte EUV-Lichtquelle entwickelt – genau die Technologie, die für moderne Chips unter sieben Nanometern entscheidend ist. Das Projekt gewann den ersten Preis beim Harbin Provincial Innovation Achievement Transformation Competition. Professor Zhao Yongpeng und sein Team verfolgten einen völlig anderen technologischen Weg als die westlichen Methoden.
Dazu kommt: Huawei soll Gerüchten zufolge bereits eigenes EUV-Equipment entwickelt haben. Westliche Experten sind noch skeptisch, ob China EUV-Maschinen bald in großen Mengen produzieren kann. Aber die Geschichte von Tesla und chinesischen Batterien sollte zur Vorsicht mahnen. China verfolgt eine Doppelstrategie: Eigenentwicklung kombiniert mit Prozessoptimierung, um trotz Exportbeschränkungen wettbewerbsfähig zu bleiben.
PR und Lobbyismus als Fluchtreflex
Wenn Unternehmen spüren, dass ihnen die Situation entgleitet, greifen sie oft zu PR, Lobbyismus und Selbstinszenierung. Trumpf-Chefin Nicola Kammüller-Leibinger gilt als bestens vernetzt und äußert sich regelmäßig zu Themen, bei denen für Außenstehende unklar ist, welche Expertise sie einbringt. Ihr Bruder ist gerade BDI-Präsident geworden. Das erinnert an die gute alte „Deutschland AG“ – damals hätte das funktioniert.
Heute, wo Deutschland und die EU an Bedeutung verlieren, ist dies kontraproduktiv. Es riecht nach dem (vergeblichen) Versuch, unliebsame Konkurrenz vom Hals zu schaffen.
Das Tückische: Es ist leicht, ahnungslose Wirtschaftsjournalisten für ein erfolgreiches Unternehmen zu begeistern. Kritisch wird es, wenn Journalisten glauben, einem ultimativen Erfolgsgeheimnis auf die Spur gekommen zu sein. Dann passiert etwas Fatales: Die Unternehmen und ihr Management beginnen, selbst daran zu glauben, was über sie geschrieben wird. Gute Presse sollte jedem Management zu denken geben – sie unterliegt oft dem „Halo-Effekt“ und schmeichelt der Eitelkeit.
Das Außenbild und die Wahrheit
Das glänzende Bild, das Trumpf in der Öffentlichkeit und in Interviews von sich zeichnet, steht in dramatischem Widerspruch zur Realität, die Mitarbeiter täglich erleben. Auf Bewertungsplattformen wie Kununu wird ein anderes Trumpf sichtbar: Von Burnout, Überlastung und mangelnder Wertschätzung ist die Rede. Mitarbeiter berichten von Führungskräften, die innovative Vorschläge abblocken, von starren Hierarchien, die Kreativität ersticken, und von einer Unternehmenskultur, die zwischen hochgesteckten Erwartungen und mangelnder Unterstützung zerreißt.
Die geplante Massenentlassung verschärft diesen Gegensatz noch. Während das Management in Interviews von Strategiewechseln und zukunftsweisender Vision spricht, erleben die Mitarbeiter täglich Angst um ihre Jobs, sinkende Mitarbeiterzufriedenheit und die Entwertung ihrer Loyalität. Die 1.400 Angestellten, die bereits auf Gehalt verzichten, während gleichzeitig Personal abgebaut wird – das ist nicht das Portrait eines innovativen Tech-Champions, sondern ein Management in der Krise, das den Kontakt zu seinen eigenen Leuten längst verloren hat.
Dies ist vielleicht das verfänglichste Signal: Wenn ein Unternehmen nach außen hin Sicherheit und Fortschritt proklamiert, während es nach innen kollabiert, verliert es nicht nur die Motivation seiner Mitarbeiter – es zerstört auch seine Glaubwürdigkeit.
Das Erbe und sein Ende
Die Erfolge von Trumpf stammen fast vollständig von Berthold Leibinger. Schon als Diplomand entwickelte er das „Nibbeln“ – schrittweises Stanzen. Nach einer Lehrzeit bei Cincinnati Milacron in den USA kehrte er 1961 zu Trumpf zurück und brachte unschätzbare Erfahrungen mit. 1967 baute Trumpf weltweit als erstes Unternehmen ein NC-gesteuertes Blechbearbeitungszentrum. Es folgten das Plasma-Schweißverfahren, die Laser-Schneidetechnik und schließlich die EUV-Technologie – alle Trumpf-Innovationen, alle Weltneuheiten.
Leibinger starb 2018. Seitdem zeigt sich: Ein Berthold Leibinger lässt sich nicht ersetzen. Das ist Triumph und Tragik zugleich, das ewige Dilemma der herausragenden Unternehmer.
Das Experiment mit der digitalen Plattform Axoom scheiterte und wurde an GFT abgegeben. Sieben Jahre nach Leibingers Tod hat Trumpf seinen Zenit längst überschritten.
Strukturkrise, nicht Absatzkrise
Die geplante Reduktion um 1.000 Mitarbeiter offenbart nicht etwa konjunkturelle Probleme, sondern eine anhaltende Strukturkrise und ein Management, das nicht erkannt hat, einen strategischen Wendepunkt passiert zu haben. Bereits seit Monaten verzichten 1.400 Mitarbeiter auf einen Teil ihres Gehalts – während das Unternehmen im Vorjahr noch Personal aufgestockt hatte. Diese Widersprüchlichkeit spricht Bände.
Leibinger selbst hatte 1992 eine wichtige Unterscheidung gemacht: Zwar seien externe Faktoren real, doch hätten die Boomzeiten strukturelle Probleme vernachlässigt, die nun „um so schärfer hervortreten“.
Der entscheidende Unterschied zu damals liegt heute darin: Die strukturellen Probleme lassen sich nicht mehr auf betrieblicher oder nationaler Ebene lösen. Wer der Bundespolitik öffentlich Ratschläge erteilt, sollte den eigenen Laden im Griff haben. Die Massenentlassung hat Trumpfs Position nicht gestärkt – eher das Gegenteil.
Fazit: Ein Paradigmenwechsel ist überfällig
Investitionen und Subventionen für die deutsche Automobilindustrie und ihren angegliederten Maschinenbau sind klassische Fehlallokationen. Nach Schumpeter sollte man Branchen, die nicht mehr aus sich selbst heraus überlebensfähig sind, würdevoll sterben lassen – um Platz für dringend Benötigtes zu schaffen.
Der Ökonom Herbert Giersch brachte es prägnant auf den Punkt: „Eine Industriepolitik, die sich auf die Unterstützung ganz bestimmter Aktivitäten konzentriert, wird dazu neigen, das zu begünstigen, was schon da ist und was man kennt. Zukunftsorientierte Ressourcen sind für solches Drängen an die Subventionskrippe angesichts alternativer Verwendungsmöglichkeiten viel zu knapp.“
Die Geschichte von Trumpf lehrt eine harte Lektion: Selbst scheinbar unantastbare Marktpositionen können rasant zusammenbrechen. Der deutsche Maschinenbau steht vor der Wahl. Entweder er findet den Mut zu radikalen Veränderungen – oder er wird Zeuge seines eigenen Niedergangs.
Update (23.10.25)
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