In den Chefetagen moderner Unternehmen ist der Alltag zur Bühne geworden. Meetings gleichen Regieproben, Manager werden zu Hauptdarstellern im Stück „Zielorientierung“. Doch hinter dem Spektakel verschwindet das, was Führung eigentlich ausmacht: die nüchterne Pflicht, über das Wesentliche nachzudenken und Verantwortung für Entscheidungen zu übernehmen.
Der Managementalltag hat sich in eine permanente Aufführung verwandelt. Strategie-Meetings gleichen inszenierten Regieproben, Kommunikationsabteilungen übernehmen die Rolle von Dramaturgen, und der Manager wird zum Hauptdarsteller in einem Stück namens „Zielorientierung“. Diese Inszenierung ist jedoch selten Ausdruck echter Zielklarheit. Sie ist vielmehr Symptom einer tieferliegenden Unsicherheit: Statt Probleme zu lösen, wird Bewegung simuliert – als Selbstvergewisserung im Angesicht der eigenen Ratlosigkeit.
Peter Drucker hätte darin den Verlust des eigentlichen Führungsauftrags erkannt. Für ihn war Management kein charismatischer Auftritt, sondern die nüchterne Pflicht, über das Wesentliche nachzudenken und daraus Entscheidungen abzuleiten, für deren Folgen man Verantwortung trägt. Effektives Management, schrieb er, ist „dröge Arbeit“ – bestehend aus Beobachtung, Denkarbeit, Prioritätensetzung und Konsequenz. Genau diese scheinbar unspektakuläre Haltung gerät heute unter Druck, wo Image, Aktivität und Storytelling wichtiger erscheinen als Substanz.
Der Vorrang der Inszenierung
Die kommunikative Dauererregung moderner Organisationen erzeugt eine perverse Logik: Sie zwingt Führungskräfte zur permanenten Performanz. Aktionismus wird belohnt, Besonnenheit missverstanden. Megan Reitz hat dies als „Heldenkult des Managements“ bezeichnet – die Vorstellung, ein guter Manager müsse ständig Veränderung verkörpern, Energie verbreiten, sichtbar sein. Doch dieser Aktionismus verschließt den Raum für produktiven Dialog, für das leise Nachdenken, das nachhaltige Strategien erst ermöglicht.
Zugleich fordert die Öffentlichkeit „sichtbare Führung“. Medien, Analysten und Investoren bewerten Präsenz, nicht Präzision. Jede Organisation, die auf Wirkung aus ist, läuft Gefahr, ihre Kraft auf symbolisches Handeln zu verlagern. In dieser Doppelbindung geschieht Führung als Schein: Je mehr sie kommuniziert, desto weniger handelt sie tatsächlich.
Typische Beispiele dieser Inszenierungspraxis:
- Managerauftritte werden choreographiert, um Deutungsmacht und Legitimation herzustellen
- Strategiekonferenzen und Betriebsversammlungen dienen weniger echten Entscheidungen als dem Zurschaustellen von Aktivität
- PR-Kampagnen und interne Kommunikationsformate erzeugen den Eindruck von Zielklarheit, ohne dass substanzielle Lösungen vorliegen
Ein besonders eindrückliches Beispiel für diese Art der Inszenierung ist das Management des Maschinenbauers Trumpf[1]Industrie-Theater statt Turnaround: Trumpfs symbolischer Rüstungseinstieg.
Die Ursachen der Inszenierungskultur
Diese Entwicklung hat mehrere Wurzeln. Die Finanzmarktlogik erzeugt Druck zur kurzfristigen Performance-Orientierung und zwingt zum permanenten Demonstrieren von „Aktivität“. In der digitalisierten Öffentlichkeit zählt die Botschaft oft mehr als die tatsächliche Wirkung – eine Kommunikationsinflation, die Form über Inhalt stellt.
Hinzu kommt eine veränderte Karrieredynamik: Führungskräfte optimieren ihr persönliches Image, statt sich an langfristigen Unternehmensergebnissen messen zu lassen. Komplexe Probleme werden durch Kampagnen und Beratungsrhetorik überdeckt, anstatt durch geduldige Analyse durchdrungen zu werden.
Marketing Myopia und Betriebsblindheit
Ted Levitt argumentierte in seiner berühmten These der „Marketing Myopia“ ähnlich wie Drucker. Beide kritisierten den Verlust an strategischem Denken zugunsten kurzfristiger, selbstreferenzieller Betriebsamkeit. Manager definieren ihre Aufgabe zu eng, fokussieren auf interne Prozesse, Produkte oder PR, statt auf den eigentlichen Zweck: die Schaffung realen Kundennutzens.
Levitt formulierte es zugespitzt: „People don’t want to buy a quarter-inch drill. They want a quarter-inch hole.“ Das Problem vieler Unternehmen ist eine Illusion von Aktivität – eine Vortäuschung von Zielgerichtetheit. Manager orientieren sich zu sehr an vergangenen Erfolgsbedingungen, statt auf neue Umweltbedingungen, technologische Veränderungen und veränderte Kundenlogiken zu reagieren.
Management müsse, so Levitt, immer auf das „Morgen“ ausgerichtet sein. Darum sei es letztlich eine intellektuelle Disziplin des Fragens: „Was ist das eigentliche Problem, das zu lösen ist?“ Levitt dachte Management also nicht als Rhetorik oder Pose, sondern als eine Form ernsthaften Denkens über den Zweck, die Verantwortung und die Zukunft von Organisationen.
Der Gegensatz: Aktionismus versus wirkliches Denken
Der Gegensatz zwischen Aktionismus und wirklichem Denken, zwischen PR und Verantwortung, ist damit ein zentraler Prüfstein für die Qualität moderner Führung. Es wird an Bühnenbildern gearbeitet, doch der eigentliche Zweck der Führung – nachhaltige Entscheidungen zu treffen und Verantwortung dafür zu übernehmen – droht hinter dem Spektakel zu verschwinden.
Im Kern geht es um die Frage: Handelt eine Organisation wirksam oder nur sichtbar? Sichtbar zu handeln wird heute wichtiger als wirksam zu handeln. Das Spektakel des Managements tritt an die Stelle des Managements selbst.
Die Rückkehr zum Denken als Führung
Das Gegenmittel wäre keine Rückkehr zu autoritärem Management, sondern die Wiederentdeckung einer stillen Professionalität: Mitarbeit an Strukturen, die Ergebnisse ermöglichen, statt Aufmerksamkeit zu erzeugen. Führung als geistige Arbeit, nicht als Dauerperformance.
Druckers „dröge Arbeit“ bleibt das, was produktive Unternehmen zusammenhält: klare Entscheidungen auf Basis gründlicher Reflexion. Drucker würde sagen: Ein Manager wird dafür bezahlt, Entscheidungen zu treffen – nicht Applaus zu bekommen.
Was moderne Führung braucht, ist weniger Inszenierung und mehr Substanz. Weniger Performanz und mehr Präzision. Weniger Spektakel und mehr stille, konsequente Verantwortung für das, was wirklich zählt: die Lösung realer Probleme und die nachhaltige Entwicklung der Organisation.
Quellen:
„Die ideale Führungskraft“ von Peter F. Drucker
Die Industrialisierung im Dienstleistungsbereich (Ted Levitt)
„Thinking about Management“ von Ted Levitt
Die zeitlose Kunst der Führung – Peter F. Druckers fünf Säulen der Effektivität
Zwischen Inszenierung und Invisibilisierung. Systemisches Paradoxiemanagement
References

