Mit der zunehmenden Komplexität und Turbulenz des Umfelds hat das Konzept der Lebensfähigkeit als übergeordnete Orientierungsgrösse für Organisationen und andere soziale Systeme an Bedeutung gewonnen. Der Begriff wird allerdings meist metaphorisch verwendet. Die systemorientierte Managementlehre hat von jeher mit dem Konzept der Lebensfähigkeit gearbeitet. Lebensfähigkeit wird dabei verstanden als die Fähigkeit eines Systems, eine unabhängige Existenz aufrechtzuerhalten (Beer). Im Lauf der Zeit sind verschiedene Theorien und Modelle entstanden, die mit dem Konzept der Lebensfähigkeit oder diesem nahe verwandten Begriffen operieren. Die umfassendsten sind James Grier Miller’s „Living Systems Theory’ (kurz LST) und Stafford Beer’s „Viable System Model” (kurz VSM). In beiden Fällen handelt es sich um elaborierte, etablierte Theorien relativ hohen Bekanntheitsgrads. Bei der einen wie bei der anderen kann man von einer „,Schule” sprechen, die sich aus Schülern von Miller, respektive Beer und wiederum deren Schülern konstituieren. Auffällig ist, dass abgesehen von gemeinsamen Wurzeln, so gut wie keine Beziehungen zwischen den beiden Theorien oder Schulen bestehen. Bisher fehlt ein systematischer Vergleich. Der folgende Aufsatz soll zur Schließung dieser Forschungslücke beitragen. Wir stellen einen systematischen Vergleich der beiden Theorien an. Dabei beschränken wir uns strikt auf die Lebensfähigkeit sozialer Systeme, das heisst von Organisationen und Gesellschaften. Wir gehen nicht auf einen dritten Kandidaten ein: Aubins (1997) ,,Viability Theory” wird wegen ihres rein formalen und algorithmischen Charakters nicht im einzelnen behandelt’.

Quelle: Lebensfähigkeit sozialer Systeme: Ein Theorievergleich