Von Ralf Keuper

Die deutschen Automobilhersteller werden durch den Erfolg von Tesla unter Zugzwang gesetzt. Ein Warnruf war vor einigen Wochen die Meldung, wonach Tesla der Konkurrenz in Sachen Elektronik um 6 Jahre voraus sei[1]Ist Tesla sechs Jahre voraus?.

Die nächste Revolution in der Automobilindustrie 

Was sich in den letzten Jahren vollzogen hat, lässt sich durchaus als die nächste Revolution in der Automobilindustrie beschreiben. Die letzte setzte mit der Einführung von Total Quality Management, Kaizen und anderen Methoden des Lean Management, die ihren Ursprung in Japan hatten, ein[2]“Die zweite Revolution in der Autoindustrie” von James P. Wormack, Daniel T. Jones und Daniel Roos. Die aktuelle wird getrieben von der Elektronik und dem verbreiteten Einsatz von Software und Sensorik, ohne die Autos schon seit langem nicht mehr fahrbereit sind. Neu hinzu gekommen sind die Vernetzung der Automobile mit der Außenwelt, so dass, wie heute bei den Computerprogrammen wie MS Office, Updates automatisch eingespielt werden können, Infotainment-Systeme sowie autonom fahrende Autos.

Herzstück der Elektronik von Tesla ist die zentrale Steuerungseinheit Hardware 3. Die Einheit arbeitet mit zwei von Tesla selbst entwickelten Mikroprozessoren.

Der Aufwand auf Seiten der etablierten Hersteller, ihre Softwaresysteme an die autonome Fahrweise anzupassen, sprengt derzeit den Rahmen, da dadurch die bestehenden Lieferketten betroffen sind[3]Warum Tesla 6 Jahre Vorsprung auf die Konkurrenz hat. Sind die Zulieferer überhaupt in der Lage, entsprechende Lösungen bereitzustellen? Ließen sich die Komponenten evtl. viel besser von anderen Anbietern, womöglich bislang unbekannten, beziehen? Hier kommt das Dilemma zu Tragen, das der kürzlich verstorbene Clayton Christensen als die Abhängigkeit vom Value Network bezeichnete. Über die Jahren und Jahrzehnte haben die Hersteller und Zulieferer eine gemeinsame Sicht auf den Markt entwickelt. Wenn dann auf einmal neue Anbieter auftauchen, die Produkte mit ähnlichen Merkmalen, jedoch mit völlig anderen Technologien und Herstellern auf den Markt bringen, werden die Schwächen des bestehenden Wertschöpfungsnetzwerkes offensichtlich.

Gemeinsame Betriebssysteme als Ausweg 

Doch nicht genug damit, dass Tesla den Markt aufräumt. Eine weitere Bedrohung für die etablierten Hersteller sind die anderen Technologiekonzerne, die schon seit einiger Zeit mit dem Gedanken spielen, selber in die Automobilproduktion einzusteigen. Das weniger “aus Freude am Fahren”, sondern vielmehr deshalb, da Autos enorme Mengen von Daten produzieren, welche sich wiederum für die Verbesserung eigener Services verwenden lassen. Google und Apple sind mit ihren Betriebssystemen in den Autos angekommen[4]Das Android-Auto nimmt BMW und Daimler einen entscheidenden Trumpf)). Von hier aus, so die Befürchtung bei den Herstellern, können sie weitere Aktionen zur Übernahme der Datenhoheit in den Autos … Continue reading.

Eine Allianz mit Daimler soll nun für Abhilfe sorgen[5]Daimler flirtet mit BMW und VW. Ziel ist die Entwicklung eines gemeinsamen Betriebssystems. Daimler arbeitet bereits mit BMW an einem Betriebssystem. Sollte Daimler mit VW zusammengehen, würde das zwangsläufig das Aus für die Kooperation mit BMW bedeuten, da das Kartellamt diese Form der Marktkonzentration verhindern würde. Einige Experten sind vorsichtig optimistisch, was die Erfolgschancen der Kooperationen zwischen den Herstellern betrifft. Allerdings müssten die Betriebssysteme eine ähnliche Funktionsbreite und Nutzerfreundlichkeit aufweisen, wie die Kunden sie von Apple und Google gewohnt sind [6]Autoexperte zu Daimler und BMW:„Wir sehen einen Kampf der Welten“. Andere wiederum halten den Vorsprung von Google, Tesla und Apple für nicht mehr einholbar.

Daimler, VW und BMW – alleine viel zu klein für die Plattformökonomie

Die Automobilhersteller müssen die für sie ungewohnte Erfahrung machen, dass sie für die Plattformökonomie viel zu klein sind. Das weniger mit Blick auf die Beschäftigtenzahlen und den Umsatz, als vielmehr bezogen auf die eigene Digitale Souveränität und den Zugang zu den Daten im Internet. Hier dominieren Google, Apple, Alibaba, facebook, Tencent & Co. mit ihren Betriebssystemen und Ökosystemen die Schnittstelle – dem haben VW, Daimler & Co. auch auf lange Sicht kaum etwas entgegenzusetzen. Daran ändern Übernahmen, wie die von Diconoium durch VW, nichts.

Bestenfalls durchwachsene Aussichten

Die Aussichten für die deutschen Hersteller sind angesichts der beschriebenen Lage, bestenfalls noch durchwachsen. Nicht umsonst sah sich VW-Chef Diess zu einer “Brandrede” veranlasst. Gut möglich, dass VW & Co. demnächst von Google & Co. “versklavt” werden, wie derzeit schon die Banken[7]Banking trifft Synergetik, oder: Wer bestimmt den Ordnungszusammenhang?. So wie sich über das Banking eine neue Informationsschicht gelegt hat, so wird auch die Automobilindustrie von dieser neuen Schicht erfasst. Branchengrenzen zerfließen. Künftig steht weniger das Fahren an sich im Vordergrund, sondern die (intermodale) Mobilität. Deshalb wäre es kartellrechtlich relativ unbedenklich, wenn BMW, Daimler und VW ein gemeinsames Betriebssystem entwickeln. Eigentlich sollte die gesamte europäische Automobilindustrie daran mitarbeiten.

Und selbst dann wird es noch sehr eng. Die nächste Revolution in der Automobilindustrie könnte daher die letzte sein.

References

References
1 Ist Tesla sechs Jahre voraus?
2 “Die zweite Revolution in der Autoindustrie” von James P. Wormack, Daniel T. Jones und Daniel Roos
3 Warum Tesla 6 Jahre Vorsprung auf die Konkurrenz hat
4 Das Android-Auto nimmt BMW und Daimler einen entscheidenden Trumpf)). Von hier aus, so die Befürchtung bei den Herstellern, können sie weitere Aktionen zur Übernahme der Datenhoheit in den Autos starten. Mit dem Smartphone verbinden bereits viele einen höheren Status als mit dem Automobil eines Premiumherstellers. Was läge da näher, als eigene Betriebssysteme zu entwickeln?

Daimler mit VW und BMW wiederum mit Daimler 

Die deutschen Hersteller haben den Ernst der Lage erkannt. Wenn die Entwicklung so anhält, dann sind sie irgendwann nur noch Zulieferer von Google, Apple, Tencent, Alibaba, Baidu und Amazon. VW versucht mit dem eigenen Betriebssystem ID.3 zu punkten. Jedoch kommt es hier immer wieder zu Verzögerungen und Qualitätsmängeln, weshalb der Leistungsumfang deutlich geringer ausfällt, als ursprünglich geplant. Neueste Bericht legen die Vermutung nahe, dass die Lage noch schlimmer ist, als bisher angenommen bzw. berichtet ((Software-Probleme: VW ID.3 „weit entfernt von Marktreife“?

5 Daimler flirtet mit BMW und VW
6 Autoexperte zu Daimler und BMW:„Wir sehen einen Kampf der Welten“
7 Banking trifft Synergetik, oder: Wer bestimmt den Ordnungszusammenhang?
Ein Gedanke zu „Gemeinsame Betriebssysteme der Automobilhersteller: Die letzte Revolution in der Automobilindustrie“
  1. […] Verantwortlich für den Strukturwandel sind nach Ansicht von Marktbeobachtern neue Antriebstechniken (E-Motor) und die fortschreitende Durchdringung des Autos mit Software[1]Hella ist erst der Anfang: Die Zuliefererindustrie steht vor einer Konsolidierungswelle. Das wiederum wird über kurz oder lang auch zu einer Konsolidierungswelle unter den Automobilherstellern führen[2]Vgl. dazu: Endspiel für die deutsche Automobilindustrie & Gemeinsame Betriebssysteme der Automobilhersteller: Die letzte Revolution in der Automobilindustrie. […]

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