Von Ralf Keuper

Deutschland fehlt es, so der Chef der Agentur für Sprunginnovationen, Rafael Laguna, an Innovationen mit dem Potenzial neue Branchen entstehen zu lassen, wie seinerzeit das Auto. Eine große Chance für die nächste Sprunginnovation aus Deutschland, so Laguna, der auch Chef der Open-Xchange AG ist, bietet Open Source Software. Eine vertrauenswürdige Datenökonomie sei nur mit offenen Systemen möglich – wie mit Open Source Software (Vgl. dazu: Expertengespräch. Im Zeichen der Datensouveränität).

Ist Open Source Software tatsächlich so entscheidend?

Jedenfalls legen einige Beiträge, die in letzter Zeit veröffentlicht wurden, diese Vermutung nahe:

Allerdings, so Adrian Bridgewater in The Impact Of The Tech Giants On Open Source hätten die großen Technologiekonzerne wie IBM, Microsoft und Google auch hier eine dominante Rolle übernommen. Microsoft übernahm Github, IBM verleibte sich Red Hat ein. Die Öffnung von Google & Co. der OS-Community gegenüber kommt auch daher, dass die Unternehmen so den Kontakt zu einer großen Zahl fähiger Softwareentwickler herstellen und diese an sich binden wollen. Das Engagement von BigTech im Open Source sehen Insider nicht nur kritisch. Von den Projekten Bootstrap (twitter) und Presto (facebook) hätte die ganze Community profitiert. Gleiches gelte für Kubernetes von Google.

Indes, nicht alle teilen die Begeisterung für Open Source Software. Die Stadt München, die vor Jahren spektakulär von MS auf Linux wechselte, will nun wieder MS einsetzen (Vgl. dazu: LiMux: München gibt Open-Source-Projekt auf). Die Gründe sind vielfältiger Art, jedoch ist Linux in Sachen Benutzerfreundlichkeit nicht jedermanns Sache. Auch mit der viel gelobten demokratischen Praxis bei Linux sei es nicht so weit her (Vgl. dazu: Woran ist Limux in München gescheitert?). Überdies werden die Kosten für Wartung und Weiterentwicklung sowie für die Einführung von OS-Applikationen deutlich unterschätzt. Der ehemalige Münchener OB Chrisitan Ude, hält die Entscheidung, von Linux auf MS zu wechseln, dagegen für falsch (Vgl. dazu: “Es gab bei Limux keine unlösbaren Probleme”). Abzuwarten bleibt, ob CERN mit seiner Entscheidung, von MS auf OS zu wechseln, glücklich wird.

Dass es durchaus unterschiedliche Ansichten über die Vorzüge von OSS gibt und warum die Vertreter der Freien Software sich davon distanzieren, schildert Richard Stallman in dem Beitrag Warum „Open Source“ das Ziel Freie Software verfehlt. Zweifel an an der Zuverlässigkeit von OSS wurden u.a. im Rahmen des Heartbeat-Bugs öffentlich. Probleme bereitet das Free-Rider – Phänomen (Vgl. dazu: The Internet Was Built on the Free Labor of Open Source Developers. Is That Sustainable?). Die eigentliche Profiteure sind alte Bekannte:

Google, Microsoft, Amazon, IBM, Facebook, TenCent, Baidu, Red Hat, and Intel employees are the most active open source contributors by a large margin. Each of these companies is for-profit and brings in tens of billions of dollars in revenue each year from products that are based on open source code … The question raised by independent developers, however, is not whether major tech companies are contributing to open source. Rather, it is whether these companies are contributing enough, and whether these contributions are going to the right projects.

Weitere Kritik übt der Beitrag 5 Reasons Why Open Source DAM Software is Bad (and why you deserve better).

Die OS-Community tendiert, wie eigentlich alle Gemeinschaften mit einer besonderen Mission, zu einer geschlossenen Weltsicht, wovon ich mich selber vor einiger Zeit überzeugen konnte (Vgl. dazu: Ein offener Standard für dezentrale digitale Identitäten: Bericht vom ID4me Summit). Die Blockchain-Technologie löste zu dem Zeitpunkt unter den meisten Anwesenden Kopfschütteln aus. Das bedeutet nicht, dass OSS einiges zum besseren Management Digitaler Identitäten beitragen kann. Mit Blick auf die Diskussion um Selbstverwaltete Digitale Identitäten besteht hier allerdings noch ein Graben, wenngleich die Blockchain in gewisser Weise selber in die Kategorie OSS fällt.

Kurzum: OSS ist gewiss ein wichtiges Element für die Entwicklung möglichst sicherer und souveräner IT-Systeme. Der größte Erfolg in dem Bereich aus Deutschland ist jedoch SAP – und das ist klassisch proprietär. Seitdem ist kein vergleichbares Softwareunternehmen hierzulande entstanden. Eine Verkürzung der Diskussion auf OSS bzw. auf die OSS-Philosophie wird dem Problem mangelnder Innovationen in Deutschland bei weitem nicht gerecht. OSS ist kein neues Phänomen. Im Gegenteil – es ist bereits in die Marktreife eingetreten, große Technologiekonzerne geben den Takt vor – das hat mit Souveränität nicht allzu viel zu tun. Wenn OSS tatsächlich so innovativ ist, dann müssten die ersten Sprunginnovationen Made In Germany schon längst das Licht der Welt erblickt haben.

Warum sollte es jetzt anders sein?

Zuerst erschienen auf Identity Economy