Von Ralf Keuper

Deutschland, so ist in letzter Zeit verstärkt zu lesen, droht den Anschluss an die Digitalisierung zu verlieren, wobei längst nicht immer klar ist, was konkret mit Digitalisierung gemeint ist. Große Einigkeit herrscht jedoch dann, wenn ein Gegenbeispiel gesucht wird, wobei man im Silicon Valley schnell fündig wird. Hier scheint all das zu funktionieren, was in Deutschland nur selten das Planungsstadium verlässt. Ein Unternehmergeist, für den keine physische oder geografische Grenze unüberwindlich ist. Statt Bedächtigkeit Draufgängertum; in etwa also das genaue Gegenteil zum deutschen Mittelstand mit seiner regionalen Verbundenheit bzw. Verwurzelung und seinem konservativen Habitus.

Dieses Bild versucht Friederike Welter in Mittelstand versus Silicon Valley in der FAZ vom 8.09.17 zu korrigieren. Darin nimmt sie u.a. Bezug auf Steven Hill, der die deutschen Unternehmen davor warnt, dem kalifornischen Beispiel kritiklos zu folgen. Trotzdem ist die Anziehungskraft des Silicon Valley auf deutsche Unternehmen und vor allem Journalisten groß. Sobald sie von einer ihrer Pilgerreisen in das gelobte Land zurückgekehrt sind, ist entweder eine Buchveröffentlichung, zumindest jedoch ein längerer Artikel, in denen die Vorzüge des Silicon Valley Mindset im Vergleich zum deutschen Wirtsschaftsstil kontrastreich beschrieben werden, fällig. Welter geht diesem Phänomen auf dem Grund:

Der ehrfurchtsvolle Blick auf das Silicon Valley impliziert, dass es nur in Kalifornien erfolgreiche, innovative und wachsstumsstarke Unternehmen gibt – ein Bild, das nicht nur, aber doch besonders in den Medien gefördert wird. .. Blickt man jedoch hinter die Fassade der Valley-Unternehmen, stellt man fest, dass vieles, was in der öffentlichen Wahrnehmung als “besonders” angesehen wird, letztlich ureigene Eigenschaften des Mittelstands sind: Selbstverantwortung und Selbstvertrauen gehören hier ebenso dazu wie Individualität und Kreativität sowie die Bereitschaft und Fähigkeit Neues zu gestalten. Neu und innovativ sind in den Unternehmen im Silicon Valley vor allem das Produkt- und Dienstleistungsangebot, das Geschäftsmodell. Mittelstandstypisch ist dagegen das übergeordnete Ziel der Gründer und Gründerinnen, ihre Fähigkeiten bestmöglich zu nutzen und den eigenen Unterhalt zu sichern. Außerdem zeichnet sich der Mittelstand in Deutschland dadurch aus, dass es viele Unternehmen gibt, die schon seit mehreren Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten bestehen. Aber auch diese Unternehmen sind irgendwann einmal von Gründern initiiert worden, die bereit waren, für ihre Idee ein hohes finanzielles Risiko einzugehen.

Weiterhin:

Es wird suggeriert, dass das zukunftsorientierte Unternehmertum aus High-Tech-Unternehmen besteht, die vor allem mit Wagniskapital finanziert werden. Tatsächlich setzt sich Unternehmertum aus einer Vielzahl von Unternehmen zusammen. Die Palette reicht vom Handwerk über den Handel über Industrieunternehmen bis zum Freiberufler. .. Der exklusive Blick auf hochtechnologische Unternehmen und ihre Geschäftsmodelle wirkt sich zu Lasten dieses “Alltags-Unternehmertums” aus.

Mittelständische Unternehmen streben nur selten radikale Innovationen an, die ganze Branchen umkrempeln; sie richten sich nicht an einen (globalen) Massenmarkt, an die Endkunden. Das bedeute, so Welter, jedoch nicht, dass sie nicht innovativ sind:

Mittelständische industrielle Unternehmen in Deutschland hingegen, vor allem viele der heimlichen Champions, produzieren im B2B-Geschäft. Ihre ebenfalls hochinnovativen Produkte und Technologien stoßen daher auf weniger Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit.

Statt also das Silicon Valley krampfhaft kopieren zu wollen, ist die Frage von höherem Interesse, was der Mittelstand vom Silicon Valley und was das Silicon Valley vom Mittelstand lernen kann:

Die Unternehmen im Silicon Valley stehen sowohl im Gegensatz zum Mittelstand in Deutschland als auch in dessen Tradition. Im Gegensatz, weil ein Teil von ihnen bewusst keine langfristigen Unternehmensstrategien im Hinblick auf einen nachhaltigen Bestand oder zum Wohle der Region verfolgt. Dagegen sind die unternehmerische Verantwortung und der damit verbundene gesellschaftliche Beitrag eine der ausgesprochenen Stärken des Mittelstandsmodells. In der Tradition des Mittelstands stehen die Unternehmensgründer im Silicon Valley, da auch sie von dem Wunsch beseelt sind, mit etwas Neuem eine eigene unternehmerische Existenz starten zu wollen.

Gegen Endes des Beitrags zitiert Welter noch einmal Steven Hill:

Deutschland verfügt glücklicherweise über eine große Zahl von Vorzügen, mit deren Hilfe es nicht nur seine Hauptcharaktereigenschaften vor der Lawine des digitalen Zeitalters schützen kann, sondern auch die Technologien auswählen kann, die zur Wahrung des Wohlstands beitragen.

Insofern bleibt Deutschland seinem aus dem 19. Jahrhundert stammenden Vorgehen treu – eher ein Imovator als ein Innovator zu sein (Vgl. dazu: Being Innovator or ‘Imovator’: Current Dilemma? und Innovationen: Typisch deutsch).

Ein Gedanke zu „Deutscher Mittelstand versus Silicon Valley“

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